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zu gewinnen und der Wahrheit direkt in's Gesicht zu schauen. Das Wort „Ein Pfaffe bleibt ein Pfaffe" läßt sich auch modifizirt anwenden: ein Theologe bleibt ein Theologe. Auf dem Wege von der Kanzef zum Katheder, den unsre Philosophen eingeschlagen, haben wir wahrscheinlich den Schlüssel zur Erklärung der Thatsache zu suchen, daß sie sämmtlich Spiritualisten geblieben sind, während die geistige Vergangenheit unserer teutschen Materialisten auf das Studium der Naturwissenschaften zurückführt. Unfre Philosophen haben den Gott ihrer theologischen Welt einfach seines religiösen Aufputzes entkleidet, um ihn als „Idee" in die Philosophie einzuführen. Ihre Philosophie war übertragene Theologie, theils aus Unbeholfenheit, theils aus Pedanterie, theils aus Unterthanenfurcht getauft mit Phrasen, welchen der gesunde Menschenverstand eben so wenig beikommen konnte wie die Polizei. Sie errangen damit die erhabene Satisfaktion, nicht bloß nicht verfolgt, sondern auch nicht verstanden zu werden, eine Satisfaktion, welche unumstößlich beweis't, daß ihnen die Wahrheit und ihre Verbreitung über Alles ging.

Die angeführten berühmten Beispiele zeigen um so mehr die Nothwendigkeit, bei Erforschung und Vertretung der Wahrheit nicht bloß eine Reinigung des Kopfes von allen aus der Vergangenheit und Erziehung übernommenen Vorurtheilen, sondern auch eine Reinigung des „Herzens“ von allen durch feindliche Umgebung und gemeines Interesse gebotenen Rücksichten als unerläßliche Vorbedingung an die Spitze zu stellen. Erkenntniß der Wahrheit ohne ihre offene und entschiedene Verkündigung ist Verrath an derselben. Beide Requisite aber hat nur der Radikalismus aufzuwei

en. Wenn daher dessen Vertreter auch auf keine höhere Begabung zur Erkenntniß des Wahren Anspruch machen können, als andre Menschen, so dürfen sie doch mit Necht Anspruch machen auf mehr Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Muth bei der Darlegung ihrer Ueberzeugungen und Das genügt zur Sicherung des Standpunktes, den ich ihnen vindizire.

Auf diesem Standpunkt nun soll ich mich über das Wesen, die Erfodernisse, die Grenzen, die Gegenstände des Inbegriffs aller Erkenntniß d. h. über den Inhalt des Wortes Wahrheit verbreiten, des gewichtigsten Wortes, das die Sprache kennt, eines Wortes, das in Aller Munde und doch so selten zum Lautwerden berechtigt ist, eines Wortes, welches das erste Bedürfniß aller denkenden Wesen ausspricht und doch keinem einzigen volle Befriedigung bringt, eines Wortes, nach dessen Inhalt Alles schmachtet und vor dem doch Alles zurückbebt, eines Wortes, das alle Räthsel wie alle Lösungen, alle Probleme wie alle Erfolge, alle Liebe wie allen Haß, alles Gute wie alles Böse, alles Leben wie alle Vernichtung gleichzeitig repräsentirt und umfaßt. Wenn ich bei dieser Aufgabe an etnes Anderes dächte, als an die Aufstellung allgemeiner Gesichtspunkte und die Andeutung der Umfangslinien meines Thema, so würde ich die Thorheit begehen, nicht bloß die Grenzen eines Vortrags, sondern auch die Grenzen meiner Befähigung maßlos zu überschreiten. Innerhalb der Begrenzung, in der ich meine Aufgabe zu halten habe, glaube ich einen Ueberblick über das Gebiet der Wahrheit am Besten eröffnen oder erleichtern zu können durch Aufstellung der Haupt-Gegensätze oder Schranken, mit denen sie in Berührung kommt. Demnach will ich eine kurze Betrachtung anstellen über folgende Gegensätze:

Wahrheit und Endlichkeit,

Wahrheit und Schein,

Wahrheit und Irrthum,

Wahrheit und Unwahrheit,

Wahrheit und Lüge,

Diese Gegensätze ziehen sich durch alle Gebiete hindurch, in welchen die Wahrheit zu suchen und zur Anwendung zu bringen ist, also vorzugsweise durch das der Wissenschaft, der Kunst und der Sittlichkeit. Die Wahrheit ist entweder Gegenstand der Erkenntiß und dann ist ihr Gebiet vorzugs, weise die Wissenschaft; oder Gegenstand des schöpferischen Bildens und dann wird sie zum Erfoderniß der Kunst; oder Gegenstand der Rücksichten im Verhältniß der Menschen unter einander und dann bildet sie den Inhalt der Eittlichkeit. Diese drei Gebiete zusammenfassend ein System des Radikalismus aufzustellen, wäre eine neue philosophische Aufgabe, deren Verarbeiten aber noch nicht vollendet sind.

Die menschliche Wißbegierde, die man mit einem andren Wort Wahrheitsliebe nennen kann, ist unermüdlich wie uns ersättlich, sie steht an keiner Grenze still und strebt Alles und Jedes zu erforschen. Dieß Streben kann schon aus dem Grunde niemals auf vollständige Befriedigung hoffen, weil das Leben des Einzelnen für den langen Weg zu den Zielen seiner Wißbegierde nicht ausreicht, abgesehen davon, daß das Wissen überhaupt seine Grenzen hat. Deshalb mache ich aus Wahrheit und Endlichkeit einen Gegensat. Andre bilden daraus einen Widerspruch, um mit dessen Lösung ein spiritualistisches Kunststück auszuführen, oder ein frommes Geschäft zu machen. „Wenn so ungefähr lautet ihr Raisonnement der Wissensdrang des menschlichen Geistes in's

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Unendliche geht, so muß der Geist selbst unendlich sein. Die freie Bahn jener Unendlichkeit aber kann er erst betreten, nachdem er seine endliche Hülle abgestreift hat. Dann findet sein Drang in einem höheren Leben die Befriedigung, die er hier nur ahnen lernt durch sein höheres Bedürfniß.“ Diese Schlußfolgerung ist gleich bequem für Diejenigen, von benen sie ausgeht, wie für Diejenigen, auf welche sie berech net ist. Sie zu würdigen, brauchen wir sie bloß auf die leiblichen Bedürfnisse zu übertragen. Wir werden dann sofort finden, daß das Bedürfniß unseres Magens eben so unendlich ist wie das unseres Geistes und wir brauchen uns nur am Ursiß aller teutschen Philosophie, in München, umzusehen um uns zu überzeugen, daß der teutsche Bierdurst eben so wenig definitiv zu löschen ist wie der teutsche Wissensdurst. Daraus würde denn die Konsequenz folgen, daß die Münchener eines zweiten Lebens bedürfen, um ihr unterbrochenes Biertrinken fortzusetzen. Gehen wir näher auf die Frage ein, so wird sich herausstellen, daß die Unersättlichkeit oder Unbegrenzheit zum Wesen des natürlichen Bedürfnisses überhaupt, des leiblichen wie des geistigen, gehört, daß das Bedürfniß nichts Andéres ist, als das jeden lebenden Wesen inwohnende Gefühl der Nothwendigkeit, feinen in fortwährender Veränderung begriffenen Organismus fortwährend zu ergänzen, zu erhalten, in seinen einzelnen Theilen zu ersetzen und zu seinen einzelnen Verrichtungen zu befähigen. Daraus folgt einfach, daß das Bedürfniß nicht aufhören kann, so lang die Möglichkeit und Nothwendigkeit folcher Ergänzung, Erhaltung, Ersetzung und Befähigung vorhanden ist. Bedürfniß und Leben sind unzertrennlich, das Bedürfniß ist Attribut und Bedingung des Lebens,

während definitiv befriedigtes Bedürfnißz gleichbedeutend sein würde mit Tod. Es ist so wenig ein Bedürfnißz ohne Leben wie ein Leben ohne Bedürfniß denkbar. Ueberrieß werden. wir finden, daß die übermäßige Befriedigung eines Bedürfnisses dasselbe verstärkt statt es zu schwächen. Es ist noch? Niemand zum Säufer geworden dadurch, daß er sich gewöhnte unter dem Maß seines Durstes zu bleiben, und in gleicher Weise, wie die Gewohnheit des Trinkens über den Durst Bier- und Wein-Säufer erzeugt, kann auch die übermäßig, ausschließlich und einseitig erstrebte Befriedigung des Wissensdurstes Wissens-Säufer heranziehen, deren krankhaft unbefriedigter Geist zuletzt Rettung in Schwärmerei und Geisterscherei, wenn nicht im Wahnsinn findet. Beim Denken und Forschen ist so gut eine Diet zu beobachten wie beim Essen und Trinken. Doch die Folgen von Dietfehlern soll man nicht zu normalen Eigenschaften umdeuten, um daran falsche Folgerungen zu knüpfen. Das normale Bedürfniß aber, zu denken, zu forschen, zu wissen, kann dadurch, daß es ebenfalls niemals ganz zu befriedigen ist, zu feinem andern Schluß berechtigen, als zu dem, daß seine Nichtbefriedigung eine in den Gesetzen des Lebens begründete Nothwendigkeit ist. Daß das Bedürfniß stets in der Zukunft lebt und auch über den Grenzpunkt des Lebens hinausreicht, ohne darum auf eine Erneuerung dieses Lebens hinzuweisen, ist so wenig ein Widerspruch, wie daß ich die Fortsetzung des Ozeans vor mir sehe, in dem ich versinke.

Lassen wir uns also durch die Unbegrenzbarkeit unseres Wissensdranges nicht zu falscher Ungenügsamkeit verleiten, aber eben so wenig durch die Begrenztheit unseres Wissens zu thörichter Niedergeschlagenheit. Daß wir Alles wissen

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