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Lüge zu verherrlichen und die Herabwürdigung der Liebe zu preisen.

Steigen wir nun aus dem gewöhnlichen Leben in andre Sphären hinauf, namentlich in die politische, so sehen wir, wie jener Ritter den Wald vor lauter Bäumen, die Lüge vor lauter Lügen nicht mehr. Adressiren wir uns an den Ersten Besten: er ist ein Zeitungschreiber, der ein „Organ der Wahrheit" herausgibt. Lügen wie gedruckt", „er lügt wie eine Zeitung" das sind kurrente Nedensarten geworden, die höchstens noch eine moderne Verstärkung erhalten könnten durch die Wendung: er lügt wie der Telegraph. Wenn Sie mir im Lande der Preßfreiheit sechs Zeitungschreiber nennen, die keine Lüge sagen und keine Wahrheit verschweigen, so mache ich mich anheischig, sogar in Amerika an große Männer zu glauben. Ad vocem „große Männer". Haben Sie schon einen einzigen gesehen, der nicht, wie man einen Schneemann aus Schneeklumpen zusammenflebt, aus den Lügen der Zeitungschreiber, Parteiherolde und sonstigen Spekulanten zusammengesetzt war? Haben wir es doch mit Hülfe dieser Vertreter der Wahrheit in jüngster Zeit sogar so weit gebracht, daß Derjenige ein Muster von „Ehrlichkeit“ werden kann, der das republikanische Gouvernement umwandelt in eine Assekuranz-Anstalt für jede Unehrlichkeit. In der Gesellschaft des Zeitungschrei bers und des großen Mannes" finden wir auch den Politiker von Profession, einen Biedermann erster Klasse, den noch kein Lügner einen Taugenichts genannt hat. Ihm nähert sich einer jener feinen Herrn, die man Diplomaten nennt und welche die Sprache benutzen, um ihre Gedanken zu verbergen, wenn sie welche haben, oder den Schein von

Gedanken zu erregen, wenn sie keine haben. Hinter dem Diplomaten steht in der Ferne einer jener geheiligten Wahrheitsfreunde, welche die Krone vom Tisch des Herrn nehmen und nicht bloßz in jeder Todesangst Verfassungen beschwören, um sie später umzustürzen, sondern auch alle Tage versichern, daß sie nichts Andres wollen, als das Wohl der Unterthanen die sie knechten. Bedarf die Wahrhaftigkeit Sr. Majestät aber noch eines glaubwürdigen Gewährsmanns, so seht zu seinen Füßen jenen zerknirschten Unterthan, welcher, den Stachel der tödtlichsten Beleidigung im Herzen, durchaus glaubwürdig versichert, daß er aus Liebe zu seinem König ersterbe und im Interesse der „Krone“ Gut und Blut zu opfern bereit sei. Um sich aber in ihrer Glaubwürdigkeit gégenseitig zu bestärken, versammeln sie sich zuletzt alle miteinander in der Kirche und singen begeistert: „Nun danket alle Gott". Nachdem sie die ganze Erde voll gelogen, lügen sie jetzt den tauben Himmel an, der sie alle so glücklich gemacht hat, und um sich gegenseitig zu trösten über Das, was „Gott“ ihnen heute versagt, danken sie ihm inbrünstig für Das, was er ihnen gestern nicht gegeben hat. Das ist die Krone der Lügerei, daß der Mensch, nachdem er sie bei allen seinen Mitmenschen nach Möglichkeit praktizirt hat, zulezt in die Runde sein eigenes Selbst belügt und dabei im Ernst versichert, das höchste Gut sei die Wahrheit.

Daß unter folchen Umständen Derjenige, welcher die Wahrheit, die wahre Wahrheit, geltend machen will, also die Lüge ausdecken muß, unter den Menschen im Allgemeinen kein willkommener Gast ist, geht mit sehr natürlichen Dingen zu. „Den Verrath liebt man, aber man haßt den Verräther". Mit der Wahrheit, obschon sie ganz anderer

Natur ist, verhält es sich ebenso: man liebt die Wahrheit übermäßig, aber man haßt Den, der sie sagt. Nur wer sie selbst übt, kann sie ertragen. Wie auf einem Maskenball Niemand zugelassen wird, der nicht ein künstliches Gesicht trägt, so ist in dieser verlogenen und verheuchelten Welt Niemand erträglich, der seine freie Menschennatur bewahrt hat und fähig geblieben ist, sich der Lüge zu schämen. Des halb ist es gut, daß wenigstens eine Person in der Welt existirt, die, von den Menschen ganz unabhängig, ihnen die Wahrheit in den Folgen ihrer Lügen lehrt und diese Person ist die Nemesis, die Göttinn der Logik.

Aber, versichert uns ein Professor, es gibt einen Tempel, worin die Wahrheit ihr Licht stets siegreich leuchten läßt, und dieser Tempel ist die Geschichte. „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht". Wohlan, wenn die Geschichte der Menschheit ihr Gericht ist, so ist der Geschichtschreiber ihr Gerichtsschreiber. Wir erleben jetzt selbst ein Stück Geschichte. Sie rollt sich ab vor unsern Augen am hellen Tage und das Protokoll des Prozesses wird von tausend Federn geführt, die vollkommene Freiheit haben ein photographisch treues Bild des Geschehenden zu liefern. Nun wünschte ich Den zu sehen, der aus diesen Protokollen eine wahrheitgetreue Geschichte der Sklavenhalter-Rebellion und ihrer Bekämpfung zusammensetzte. Sehen wir nicht alle Tage vor diesem amerikanischen Weltgericht das Recht zum Unrecht machen, die Ursache in die Wirkung verkehren, die Folgen von unaufhalt= famen Ereignissen als Verdienste Derer umdeuten, welche sich vergebens ihnen entgegenstemmten, die schreiendsten Thatsachen ignoriren, die offenbarsten Motive vertuschen, die empörendste Unfähigkeit in Weisheit, unläugbare Verbrechen

in patriotische Handlungen und die Verderber der Republik in ihre Retter umwandeln? Sehen wir nicht schon jetzt im Hintergrunde die segnende Hand der Nachwelt sich über Köpfe ausstrecken, in deren defektem oder unsauberem Gehirn all das schreckliche Unheil, dessen Zeugen wir täglich sind, seinen wahren Ursprung hat, während Andre, welche die Fähigkeit und den Willen hatten, jenes Unheil abzuwenden, vergessen oder verdammt werden? In der Geschichtschreibung ist, wie in der Geschichte selbst, die Lüge stets die Gehülfinn der Macht, die Wahrheit aber verhallt im Getöse des Krieges und für das Urtheil der Nachwelt bleibt kein anderer Halt, als der Erfolg, umgeben von dem falschen Ruhm Derer, welchen dieser Erfolg am Wenigsten zu verdanken ist.

Von diesen Erfahrungen der Gegenwart ziehe man nun einen Schluß auf die Akkuratesse und Wahrhaftigkeit, womit das Protokoll des „Weltgerichts" in früheren Zeiten geführt wurde, wo keine Oeffentlichkeit, kein freies Wort existirte und die Gewalthaber und ihre Gehülfen jedes Mittel der Lüge ungehindert und unbeschränkt ausbeuten konnten. Wer die heutige Geschichte machen und beschreiben sieht, muß mißtrauisch gegen alle Darstellung der früheren werden. Er. kann, wo sie von Machthabern redet, höchstens ihrem Tadel, nie aber ihrem Lobe trauen. Das Einzige, was die Geschichte als „Weltgericht“ mit Sicherheit, aber nur in allgemeinen Umrissen, darthut, das sind die endlichen Folgen der Abweichungen von der Wahrheit; doch diese Folgen treffen Leider selten die eigentlichen Urheber.

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Woher alle diese Abweichungen? Woher alle diese Verbrechen gegen die Wahrheit? Wie sollen wir uns die allge

meine Leidenschaft der Menschen für die Lüge erklären, während sie doch alle ein Verlangen nach der Wahrheit haben, die nicht bloß ein Bedürfniß ihrer Vernunft, sondern auch die einzige Richtschnur für die Wahrung ihrer allgemeinen Interessen ist? Ist der menschlichen Natur die Lüge ein Bedürfniß? Nein! Die Lüge ist nur ein Produkt der Berhältnisse, in welche die Menschen durch die Entwickelung der Gesellschaft zu einander gerathen sind. Die Lüge ist das Hülfs- und Nothmittel des ewigen Kriegs, in welchen die Menschen fort und fort durch ihre gegenseitige unnatürliche, unvernünftige und ungerechte Stellung mit einander verwickelt werden. Ursprünglich haben die Menschen nicht gelogen, sie haben nur geirrt. Aber sie belogen einander, sobald sie einander fürchten lernten, und diese Furcht wurde allgemein, als ihre Irrthümer sich verkörperten zu Sitten und Institutionen, Gesetzen und Religionen, durch welche der eine Theil ein Uebergewicht über den andren erhielt. Der eine Theil fand sein Interesse in der Erhaltung und Ausdehnung des einmal Eingeführten oder Bestehenden, während der andre die Irrthümer erkannte und eine Aenderung erstrebte. So war der Krieg erklärt. Während die Wahrheit auf der Straße ihr Recht suchte, baute der herrschende Irrthum in seinen Schußmauern auf dem einmal gelegten Fundament weiter und je mehr er sein Gebäude bedroht sah, desto mehr suchte er es zu befestigen. Daß auch er nach und nach die Wahrheit erkennen lernte, bewog ihn nicht, die durch ihr Gegentheil schon erlangten Vortheile aufzugeben, sondern er suchte sie sich jetzt systematisch zu sichern. Gewaltherrschaft, ungerechte Gefeße, religiöse ZähmungsKinste und widernatürliche Erziehung waren die Mittel. So

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