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gelangen? daß keine Jugendeindrücke, keine Lehren, die dem blinden Glauben aufgebürdet wurden, keine Autoritäten keine unordentliche Neigungen mein Urtheil irre führen?

O es ist ein großes Wort: von vorn mit sich · selbst zu Rathe zu gehen! Und doch kann selbst der fähigste gutmüthigste Mensch nur auf diesem Wege wirklich aufs Reine kommen, wirklich sicher werden, daß er nicht bald unter dieser, bald unter jener Gestalt ein Sclave der Meinung Anderer und ein Spiel der boshaften Klugheit herschsüchti ger Geister werde.

Jeder Begriff der mir wurde, komm' er aus dem Munde meiner Amnie oder meiner Lehrer, meiner Gespielen oder meiner Beherscher, jedes Wort womit ich diesen Begriff bis jest bezeichnete, muß vor dem innern Richter erscheinen; ich muß ge: wiß werden, was ich davon weiß und wissen kann, was für einen Einfluß es auf mein Leben hat und auf meine Vervollkommnung haben kann.

Jeder Neigung, die mich bisher trieb, muß ich auf den Grund kommen. Was sette sie in Ber wegung? Was trieb mich sie zu nähren? sie zu verfolgen? Kann sie mit ihren guten Geschwistern und mit den rechtmäßigen Anforderungen meiner gleichbegabten Brüder bestehen?

Jeder Gegenstand, auf den meine Reigungen

fielen, muß treu untersucht und gewürdigt werden. Und bald wird sichs ergeben, daß ich von Kindesbeinen an ein Sclave unzähliger Neigungen war, die blinde Nachahmungssucht in mir erzeugten, und die zur Bequemlichkeit und Sicherheit meiner trás gen und herschsüchtigen Erzieher und Führer in mir genährt wurden; bald wird sichs zeigen, daß die meisten Gegenstände, nach denen ich mit erhister durch Ansteckung erzeugter Begierde jagte, der Mühe gar nicht lohnten, mir selbst äußerst wenig Genuß gewährten; es wird sich zeigen, daß selbst der Genuß, den das Gefühl meiner wirkenden · Kräfte mir gewähren könnte, meistentheils vers loren ging, weil meiné Neigungen auf Gegen. stände fielen, die entweder nicht zu erreichen was ren, und so nur ein Gefühl der Ohnmacht, des drückenden Widerstandes mir ließen, oder deren Besitz und Genuß meine Kräfte selbst untergruben. Bald wird sichs zeigen, daß die meisten meiner Neigungen aus verwerflicher Quelle floffen, daß daß regellose Spiel der Neigungen anderer um mich her sie in Bewegung feste und daß sie am Ende auf allgemeine Zerstöhrung hinauslaufen. Ja es wird sich bald zeigen, daß ich leichter zu erlangende Genüsse, die mich wirklich hätten be glücken können, die auch unschuldigerer und mit theilenderer Natur waren, vernachläßigte, und

daß ich mich immer weiter von ihnen entferne, je eifriger ich in dem allgemeinen Wettlaufe dem Ziele zutreibe, das Thorheit oder Eigennuß den verblendeten Wettrennern auf der verkehrten Seite der Bahn gesteckt hat.

Wollt ihr aber die zahllosen Irrthümer und Vorurtheile, die regellofen Neigungen, die ihr bei solcher ehrlichen Nachforschung in eurem Innern festgenistet und häuslich eingewohnt finden werdet, ganz erkennen und von ganzen Herzen verachten Lernen, so müßt ihr jeder heuchlerischen Entschuldigung, jeder gleisnerischen Beschönigung rein eutfagen.

Wehe dem, der in der Scheinheiligkeit einen Deckmantel für seine innre Häslichkeit, in dem Glauben an die allgemeine Schlechtheit und Verkehrtheit der menschlichen Natur seine Rechtfertigung zu finden glaubt! Besser wär' es ihm, er wäre den gemeinen Weg des Fleisches fortgegangen.

Was half es dem armen Genfer, daß er die unedelsten Erze aus seinem Innern zu Tage för derte, um seine Polierkunst daran zu üben? hat er Sie zu edlen Metallen umgewandelt? Welchen unbefangenen Mann, den die muthwilligen Leiden des Unglücklichen nicht mehr täuschen, bei dem nicht eigne Schwachheit oder Schlechtheit wohnet, die gern eine geheiligte Freistäte im Schuße des eitlen

Heiligen fände, können seine Scheingründe,. seine Redekünste noch einen Augenblick bestechen? Und was half dem Verblendeten die Herabwürdigung des ganzen Menschengeschlechts? Welcher Mensch, der sich nur des reinen guten Willens bewußt ist, blickt nicht unwillig von dem Schänder der menschlichen Natnr hinweg, wenn er ihm aus seiner Verfunkenheit zuruft: wer ist besser als ich? An die Nachwelt that der Verblendete die Frage, und mit gleicher Verblendung übte sie im, finstern tappend Gerechtigkeit, und stellte ihn neben Marat ins Heiligthum der Menschheit,

So bleibt ihr im Grunde, was der Anschein auch verheißen mag, Sclaven eurer Irrthümer und Vorurtheile, wenn ihr nicht zugleich nach der reinsten Entäußerung eurer selbst strebet, und von Grundaus ehrlich über euer bisheriges Seyn und Denken zu Rathe gehet,

Nicht von außen, in Dir fange die Besserung an :
Deines Staates; in Dich hinein

Wirf den Donner des Rechts und der Beredsamkeit.
Rom laß Rom, und die Belt laß Welt"
Bleiben; schaue Du nur grad' in den Spiegel. Da
Steht der Gegner des Kapitols.

Ihm entgegen fritt auf, der den Antonius

Tief im innersten Busen hegt,

Ihm entgegen tritt auf, halte Philippische

Reden, Vater des Vaterlands!

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Wenn der Tag Dir entschlüpft, wenn Dir das stille Herz

Schnöde Gräuel und Schulden zeigt,

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Dann erhebe das Wort, frage: »>Warum Du Dich
Du ein Edler, den Niedrigen

Zügeselltest? Warum Du den Unschuldigen
Würgtest? Keusche beleidigtest?

Zogst die Wolluft dem Zevs, Frevel der Tugend vor,
Gabst dem Pöbel, der Bulerinn,

Preis dich.

Lictor, herbei! Denn der Beklagte will

Nicht gestehen; die Fascen her! « →

Also rede für Rom, und Du wirst Vaterlands,
Wirst ein Vater dir selbst erst seyn. *)

Des sichern Gewinns erfreut sich der Ehrliche am Ende gewiß, daß er bei ehrlichem Streben alles das ist und wird, was er seiner eignen Na: tür nach werden kann. Und welcher vernünftige Mensch, dem echter Lebensgenuß werth ist, möchte mehr fein wollen! welcher gute Mensch, der wirklich das Wohl seiner Brüder wünscht und fördern wollen! Und hat dich

helfen will, möchte mehr le

dieser Gedanke noch nie in dich zurückgeschreckt, so blicke nun um dich. Keine Zeit der Welt. gab größere Beispiele von den schrecklichen Folgen eitlen, überkräftigen Treibens, des unglückseligen, ich will und kann nicht, als die jetzige Zeit.

Blick auf den armen Ludwig! Unfähig ge: gen die Thorheit und Bosheit seiner nächsten Umgebung sich selbst und die Männer zu schüßen, die ihm das gute Geschick zuwieß, und denen es vielleicht gelungen wäre, durch bessern Unterricht und

eine

*) Terpsichore von J. G. Herder. Zweiter Theil

G. 298.

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