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die unglaubwürdigen Berichte vom Mond, weil das Jenseits mit dem Diesseits so intim und plausibel verschlungen wird.

Man sieht, wie klug, ja geistvoll und poetisch sich der Autor um seinen spröden Stoff bemüht. Trotzdem ist er bei mir wenigstens erfolglos geblieben. Ich kann mir das nur aus dem gattungsmässigen Charakter des phantastischen Romans von Wells erklären. Er ist litterarisch zu präcis in Anlage und Zweck, als dafs er für Variationen genug Spielraum übrig lassen könnte. Der erste Wurf war originell und individuell, er hat mächtig gepackt; die folgenden Varianten vermochten sich nicht über schablonierte Kopien zu erheben, die man der Hauptsache nach ungelesen auswendig kennt. Das Thema ist eben zu eigenartig, um stärkere Umartungen zu erlauben.

The wheels of chance by H. G. Wells (Tauchnitz edition vol. 3526).

'Heureka' mag der biedere Kritikus rufen, der die Litteratur fein säuberlich nach Stoffen gattungsmässig abgliedert. Er hat eine neue Species des Romans gefunden, den 'Radler-Roman'. Damit sollte ich eigentlich mein Referat über das Werk beschliefsen, denn ich radle nicht. Aber vielleicht hat das Urteil des sachlich Unbefangenen auch seinen Wert, und deshalb will ich feststellen, dafs ich mich auf dieser meiner litterarischen Radfahrt von Autors Gnaden prächtig unterhalten habe, so prächtig, dafs ich nur bedaure, mir vom Honorar dieses Referates nicht ein Rad kaufen zu können, um die Sache reell zu probieren. Die Schildereien aus der Radlerei sind so instruktiv im Technischen, so plastisch in den Vorfällen gearbeitet, und sie sind so lebendig in das Gemütsleben des Radlers übersetzt, dafs ich alles verstanden, geschaut und empfunden habe. Wenigstens bilde ich mir das ein, denn meine Eindrücke sind präcis. Damit darf der Autor schon zufrieden sein, weil ich als Leser zufrieden bin.

Wells ist also jedenfalls ein ausgezeichneter Schilderer des modernen Kleinlebens. Er ist aber noch viel mehr, er ist der echte Poet dieses realistischen Genres. Die Wirklichkeit in all ihren Äufserlichkeiten getreu und anschaulich zu kopieren, ist ein erlernbares Kunststück. Zur Kunst erhebt sich solche Arbeit erst, wenn das Werk die persönliche Note des Schöpfers enthält, wenn es seine Idee von dem Stück Leben, das er kopiert, mit zum Ausdruck bringt. Dazu mufs aber der Autor das Bedeutungsvolle an seinem Stoff überall herausfühlen und diese Eindrücke im Brennspiegel seiner Weltanschauung zusammenfassen. Das vermag Wells. Nichts ist ihm zu klein, um nicht dessen Beziehungen zum grofsen Lebensproblem des modernen Menschen zu finden, nichts ist ihm so verworren, dafs er es nicht mit einem freundlichen Lächeln verziehe. Wells ist Humorist: er schaut tief ins Leben hinein, so hoch er auch über ihm steht, und gerade darum liebt er das Leben trotz aller Banalität und Borniertheit.

So giebt es

äufserlich besehen

wohl nichts Banaleres als den

halbgebildeten Commis eines Kleinladens aus der Londoner Vorstadt, und das ist sein Held, und es giebt nichts Bornierteres als den an Ibsen verbildeten Backfisch der guten Londoner Gesellschaft, der 'sein Leben leben will', und das ist seine Heldin. Ein köstliches Paar, unreif an Alter und Art. Der Commis benützt die Augustwoche seines Jahresurlaubs zu einer Radpartie aus London hinaus, ins Land hinein, zur See hin. Er sitzt noch nicht sicher auf seinem Rad, steht aber noch viel unsicherer im Leben, denn er kennt es nur im kleinen Ausschnitt von seinem Ladentisch aus, er erträumt sich von ihm noch romantische Wunder. Auf der Fahrt begegnet er dem Backfisch. Die Kleine ist mit einem nicht mehr jungen Herrn ihrer Tante durchgegangen. Er hat ihr viel von Ibsen und nichts von seiner Frau erzählt und will sie nun ihr Leben leben lehren. Sie hat sich die Ibsensche Welt minder erotisch und im Erotischen legitimer vorgestellt und verzweifelt über ihre Dummheit. Als Retter in der höchsten Not erscheint der Commis. Sie geht nun mit ihm ihrem falschen Befreier durch. Die beiden fliehen in Furcht vor dessen Verfolgung. Der aber denkt nicht an eine solche. Dafür beginnt eine neue Verfolgung: die Tante setzt mit den Getreuen ihres Hauses der flüchtigen Nichte nach. Der Wirrwarr all dieser äufseren Vorfälle wirbelt die Fabel in unwiderstehlicher Komik durcheinander. Dabei geschieht und das ist das Komischste eigentlich gar nichts Absonderliches, die gewöhnlichsten Alltagsgeschehnisse erzwingen durch ihre blofse Gruppierung die Lachlust. Mit diesem äufserlichen Wirrwarr hält in steter Steigerung Schritt der Seelen wirrwarr unseres Heldenpaares. Beide verkennen einander in ihrer reizenden Lebensunreife. Er sieht in ihr die ernsthaft-originelle Dame aus der grofsen Welt und glüht für sie in keusch-verschwiegener Liebe. In ihr erwacht eine gutmütige Sympathie für ihren Retter und Ritter, der so vornehm in seinem Wesen und so sonderlich in seinen Manieren ist. Ihre weibliche Neugier nach 'Nam und Art' befriedigt er verführt von der Eitelkeit des 'Ritters' mit einem halbverschleierten Inkognito. Nur dafs er 'aus den afrikanischen Kolonien' kommt, gesteht er ein. Dabei kommt er leider in immer gröIsere geographische und ethnologische Schwierigkeiten, die ihm der gebildete Backfisch unbewufst bereitet. Vor allem drückt ihn das Bewusstsein der Lüge. Knapp vor Schlufs, d. h. vor der Gefangennahme durch die siegreich vordringende Tante rafft sich der Held zur Generalbeichte vor der Heldin auf. Sie verzeiht ihm in Rührung über seine moralische Selbstüberwindung. Nun ist das Abenteuer äufserlich und innerlich zu Ende. Es kommt zum kurzen, stummen, herzlichen Abschied fürs Leben. Den Backfisch nimmt sich die Tante mit, der Commis kehrt zum Prinzipal zurück. Commedia è finita.

Aber wenn diese Geschichte scheinbar ins Leere verpufft, weil sie keinen 'richtigen Ausgang' hat, so bleibt sie doch dem für zarte Psychologie eindrucksfähigen Leser gewifs unvergessen, weil sie den richtigen Inhalt hat. Sie birgt wahrhaftiges Leben in ihrer komischen Hülle. So derb die komische Fabel ist, so fein wird die geistige Entwicklung der

zwei Hauptfiguren geführt. Sie gesunden von ihrem inneren Makel: der Commis verliert seine Banalität, der Backfisch seine Borniertheit. Das Heilmittel für diesen psychischen Gesundungsprozess, das hier zur Verwendung kommt, und das einzige, das auch sicher wirkt, es ist die erziehende Lebenserfahrung. Drollig waren die geistigen Defekte, drollig ist auch die Medizin: ein kleines Stück Leben voll komischer Unbedeutendheit. Und doch wurde es so bedeutungsvoll für die Beteiligten, weil sie es eben innerlich und nicht nur aufserlich, weil sie es psychologisch und nicht nur fabulistisch durchlebt haben. Darum wirkt diese Humoreske auch wirklich humoristisch, darum gebührt diesem Roman auch der Platz in der poetischen Litteratur.

Foes in law by Rhoda Broughton (Tauchnitz edition vol. 3475).

Es ist ein Familienroman, und zwar nicht nur ein Roman für die Familie, sondern auch ein Roman von der Familie. Seine Motive wurzeln im geistigen Nährboden der Familie. Diese erschöpfen sich gewöhnlich

nämlich in der regulären Schablone des Familienromans in den Stoffphasen der Liebschaft, des Brautstandes und der Ehe. So einfach geht es aber hier Gott sei Dank nicht ab. Die Autorin gewinnt dem alten Stoffe neue Seiten ab. Sie schildert den Kampf der Schwägerinnen. Er spielt zwischen der Schwester und Frau des Hausherrn. Die Geschwister haben zusammen Wirtschaft geführt. Da verlobt sich plötzlich der Bruder. Die Schwägerinnen gefallen einander nicht. Die Schwester als depossedierte Hausfrau hat den schwereren Stand. Aber die junge Frau gewinnt sie sich doch schrittweise zur Freundin, ohne Absicht, ja trotz des anfangs schneidig geführten Kampfes. Da dieser nicht um reale Güter wie Geld oder Macht geführt wird, sondern nur der gegenseitigen Antipathie entspringt denn zwei einander fremde Naturen stofsen aufeinander im engumfriedeten Familienzirkel, so bedeutet der Kampf eigentlich nichts weiter als Verkennung, der Friede Erkennung und Anerkennung der fremden Eigenart. Es ist ein Kampf der Geister, er wird geführt von Charakter gegen Charakter. Mithin entrollt sich vor unseren Augen ein fesselnd bewegter Seelenstreit. Dies die eine Seite des Problems. Zugleich ist aber die Schwester Braut. Sie hat zwar erst die Werbung zurückgewiesen, weil sie im Dienst des Bruders, den sie als sicheren Cölibatär falsch eingeschätzt hat, opferfreudig aufgehen wollte. Nun er sie mit der Schwägerin überrascht hat, will sie aus dem ihr entfremdeten Heim scheiden und sagt dem dringlichen Werber, da er sie zum zweitenmal bestürmt, ihr Ja. Es war unüberlegt, denn nach und nach merkt sie, wie wenig sie zu ihm pafst, wie sehr sie ihn verkannt, überschätzt hat. Ihr weiterer Verkehr mit ihm ist eine schrittweise Entfremdung, die schliesslich bis zur Entlobung führt. Auch hier wieder ein feinentwickelter Seelenkampf, auch hier das Spiel der Charaktere.

All die äufseren Begebenheiten in diesem Roman sind materiell gefalst bedeutungslos, es dreht sich nur um tausendfach geschaute, alltäglich erlebte Familienangelegenheiten. Der fabulistische Reiz ist gleich

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Null. Um so stärker wirkt hier ich möchte sagen: die reine Psychologie. Sie wird nur etwas materialisiert durch den Beisatz von socialem Genre. Der Bruder ist Landpfarrer, der Bräutigam sein Kurat, die Schwester das typische Pfarrerstöchterchen. Es ist die geistliche Welt. Hier herrscht Reinheit innerlich und Pedanterie äufserlich. Alles ist korrekt und geheiligt in der Pfarrfamilien tradition. Das Stichwort ist herzensgute Philisterei bei echter Bildung. Und nun platzt in dieses geordnetste aller Hauswesen die junge Frau, die geborene Bohèmienne. Sie ist ein entzückendes Geschöpf trotz ihrer grenzenlosen Fahrigkeit und all der kleinen Boshaftigkeiten, über die sie in der Defensive verfügt. Sie charmiert durch die Geschlossenheit ihrer Natur. Bei ihr ist alles notwendig. Sie kennt keine Überlegung, sie folgt blofs ihrem Instinkte. Und ihr gleicht ihre Familie: der Vater vor langer Zeit social deklassiert und menschenscheu, die vielen Kinder, weil die Mutter längst tot, verwahrlost aufgewachsen. Von den drei erwachsenen die Schwester der Braut angehende Schauspielerin noch ohne Beweise ihrer künstlerischen Kraft, aber durch und durch anständige Bohèmienne, d. h. sie lebt nur ihrem künftigen Beruf, wieder eine bruchlose Figur von reizendster Einseitigkeit. Der Bruder der Braut ein Überläufer aus dem Lager der Bohème ins Land der Philister, Bankbeamter in London, noch so weit Bohèmien, dafs er unwillkürlich interessant wirkt, und behaftet mit der ehrlichen Absicht auf die sociale Respektabilität. Die halberwachsenen Geschwister souveräne Rangen mit all dem Reiz ihrer ungebogenen Natürlichkeit. Das ist die zweite Welt in unserem Roman. Sie ist die stärkere von beiden. Sie siegt im Kampf, wie immer die Rücksichtslosigkeit über die Rücksichtnahme, wie immer die Ungebundenheit über die Bedächtigkeit. Doch hier ist Kampf und Sieg erfreulich, denn es triumphiert die starke Natur über eine schwache Kultur. Dabei ist es der Autorin gelungen, beide Mächte sympathisch zu zeichnen. Man sieht, der Roman greift tief ins innerste Menschenleben hinein. An der fabulistischen Oberfläche, in den realen Geschehnissen ist er alltäglich, fast möchte man sagen banal, aber im Untergrunde der geistigen Mächte, die hier ihren Kampf auskämpfen, übersetzt sich die Gewöhnlichkeit in die Notwendigkeit. Die Psychologie ist so allgemein-menschlich, dafs sie nicht nur in dem geschilderten Einzelfall absolut wahr wirkt, sondern jeden Leser durch die Kraft berechtigter Analogie persönlich packt. Das ist ja das Zeichen echter Poesie, dass ihre Probleme über den litterarisch ausgeführten Beispielsfall hinauswirken in das Wesen und die Erfahrung der verschiedenst gearteten Leser hinein. Diesen Vorzug besitzt auch unser Familienroman: eng umgrenzt im Bild reicht er an Lebenssinn ins ungemessene.

New Canterbury tales by Maurice Hewlett (Tauchnitz edition vol. 3537).

Man kann einem Menschen alles nachmachen, nur nicht seine Natürlichkeit. Das hat wohl Hewlett vergessen, als er dem Altmeister Chaucer die Canterbury tales kopieren wollte. Er ist mit grofsem Wissen und

starkem Können an seine Arbeit gegangen und hat sie mit feinem Geschmack durchgeführt. So ist ihm ein tadelloses Werk gelungen, an dem der kritelnde Verstand nichts auszusetzen hat. Trotz alledem bleibt man diesen neuen Canterbury tales 'kühl bis ans Herz hinan'. Das kalte Interesse erwärmt sich nie bis zur lebendigen Anempfindung, weil die Kopie durch den Mangel von Natürlichkeit in Totenstarre verharrt. Hewlett spielt Chaucer, das ist unnatürlich, also auch unlebendig. Es ist nachahmende Künstelei statt Kunst, die ihre Lebenskraft einzig als Ausdruck der lebendigen Persönlichkeit gewinnt. Wahre Kunst ist, weil persönlich, immer neu. Sie erstirbt in Nachahmung, denn das Nachahmen ist nichts anderes als das Aufgeben der Persönlichkeit seitens des Kopisten.

Als Kunstwerk sind die N. C. T. mithin wertlos, aber das nimmt ihnen nichts an Interesse, sofern man sie als litterarisches Experiment betrachtet. Hiefür ergeben sich zwei Fragen: wie nimmt sich das Werk als Kopie aus im technischen und wie im essentiellen Sinne?

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Technisch ist die Kopie vorzüglich. Weil das Vorbild ein Meisterwerk der Weltlitteratur leider Fragment geblieben, so ist die Kopie besser als das Original. Sie hat diesem nämlich nicht nur alle bestehenden Meisterzüge nachgebildet, sondern auch alle nur angedeuteten, unausgeführten glücklich abgelauscht und durchgeführt, denn die N. C. T. sind ein abgeschlossenes Ganzes. Hiebei handelt es sich um zweierlei entsprechend der Komposition des Originals. Chaucer wollte in Anlehnung an Boccaccios Decamerone ein cyklisches Werk schaffen: eine reiche Menge von Einzelerzählungen sollte durch eine wirksame Gruppierung und durch die organisch eingreifende Rahmenerzählung zu einer höheren Einheit zusammengefasst werden. Für beides blieb Chaucer die letzte Vollendung schuldig. Betreffs der Gruppierung der Einzelgeschichten ist Chaucer über tastende Versuche nicht hinausgekommen, da er die Vollzahl der beabsichtigten Einzelgeschichten bei weitem nicht erreicht hat. Er experimentiert nur mit der Bildung von Kleingruppen, um StimmungsParallelen oder Kontraste auszulösen. Um so weniger konnte er die Gesamtmasse zu einer geschlossenen Stimmungsabfolge organisieren, die eine künstlerisch aufgebaute Gesamtwirkung ergeben hätte. Diese Einzel- wie Gesamt- Effekte hat Hewlett aus seiner Gruppierung herausgeschlagen. Freilich hat er sich's leicht gemacht, denn er operiert nur mit sechs Einzelgeschichten. Doch er operiert sehr geschickt. Er teilt sie in drei Kleingruppen. Da steht vornan immer eine realistisch gehaltene Historie mit dem Anspruch auf Glaubwürdigkeit, und ihr folgt immer eine spielerische Phantasie, in der ersten Gruppe ein Märchen, in der zweiten eine Legende, in der dritten eine Farce. Somit ergiebt sich ein dreimaliger Stimmungskontrast. Weiter sind die Historien untereinander verschieden: stofflich ist die erste der jüngeren Nationalgeschichte entnommen, wurzelt die zweite in der italienischen Hochromantik, führt die dritte wieder in die britische Heimat zurück und unbestimmt weit zurück in die heroischen Stammeskämpfe zwischen Engländern und Wallisern.

Für Abwechselung ist somit reichlich gesorgt. Aber auch für

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