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Ob sie ihn verstand? Ob ihr Geist schon weiter war und ein Wiedersehen feierte? Ein Leuchten flog über das abgehärmte Gesicht und machte es schön wie in Mädchentagen. Und der Kopf sank über den Arm des Mannes, der sie still in die Kissen legte.

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IV

Die Kinder spielten im Burggarten. Aber die rechte Spielfreude wagte sich noch nicht heraus. So suchten sie sich denn bald eine Bank unter einer hohen Kastanie, die ihr braungefärbtes Herbstlaub bis tief auf den Boden niederhängen ließ, und saßen in dem Versteck dicht aneinander- 10 gedrängt.

„Was wohl Mutter jetzt tut?" flüsterte die kleine Sibylle und ihre braunen Äuglein huschten im Kreis.

„Sie denkt an uns," sagte Barthel und blickte geradeaus. „Mutter ist tot," belehrte Johannes. „Dann denkt man 15 gar nichts mehr."

Und Barthel antwortete ruhig verweisend: "Du kannst gar nichts tun, was Mutter nicht sieht. Und wenn du hundert Jahre alt wirst. Mutteraugen sehen im Tod noch schärfer als du im Leben.“

„Wieso ?"

Barthel besann sich eine Weile. Weil es der liebe Gott so eingerichtet hat,“ sagte er endlich, „und weil es ein Jenseits gibt und und gewiß einen besonderen Himmel für die Mütter."

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Da herrschte ein atemloses Schweigen unter dem Kastanienbaum...

„Sagt mal," flüsterte die kleine Sibylle, der das Schweigen zu lange dauerte, „tut Auf-die-Welt-Kommen mehr weh oder 5 Sterben?"

„Wer ein gutes Gewissen hat," sagte Barthel, „der braucht sich nicht zu fürchten. Habt nur immer eins.“

„Nein," flagte die kleine Sibylle. Sterben tut auch dann weh. Mutter hat's sicher doch weh getan. Ich hab's gesehen." ΙΟ Der große Barthel nahm die aufgeregten Kinderhände. „Billa, das verstehst du noch nicht. Mutter hat das Sterben weh getan, weil sie uns so allein lassen mußte."

Da sagte der Hein plötzlich knabenernst: „Meine Mutter ist nicht gestorben -man hat sie gemordet. Und meinen 15 Vater auch."

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Die Kinder fuhren auf. Entgeistert staunten sie auf ihren Freund, der sich das goldblonde Haar aus der Stirn strich und in stillem Zorn aus seinen blauen Augen schaute. „Was -was sagst du da, Hein-? Träumst du?" Ich träume nicht. Und da seht ihr, daß ihr es besser habt als ich."

„Deine Mutter-ist ermordet worden? — Und dein Vater - auch? Von wem denn nur?"

„Von den gleichen Menschen, vor denen ihr aus Bonn 25 hierher geflüchtet seid." Er hob den Kopf, und seine Augen blizten. „Wir wollen gegen sie zusammenhalten. Was meint ihr?"

Der große Barthel gab ihm die Hand. „Du kannst dich auf mich verlassen, Hein.“

Und ihr?" fragte der Junge die anderen.

Die kleine Sibylle sah gespannt auf ihren Bruder Johannes. Der zog die Schultern hoch und meinte verächtlich: 5 „Es waren doch fast nur Adlige, die sie drüben geköpft haben. Wart ihr denn so reich in Straßburg?"

Und der Hein, der sich wieder beruhigt hatte, antwortete: „Mein Vater war ein Marquis.“

„Marquis?" echote die kleine Sibylle. „Was ist das 10 eigentlich?"

„Das ist ein französischer Graf und mehr noch.“

„Bist du auch ein Graf?" forschte die Kleine weiter und trat näher an den Freund heran.

Der Hein wurde verlegen. „Ich bin's nicht mehr. Der 15 Oheim will's nicht haben. Weil meine Mutter vom deutschen Rhein war."

„Das ist doch gar kein Grund,“ meinte Johannes.

„Der Oheim sagt, jeder Mensch müsse sich seinen Adel selber erwerben. Das Glück liege nur in uns selbst."

„In der Freiheit," begeisterte sich Johannes und kannte nur das Wort und nicht seinen Sinn.

Da stand der graubärtige Hausherr vor ihnen, und die Kinder verstummten.

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„Ihr habt mich gar nicht kommen hören, so eifrig wart 25 ihr," sagte er freundlich. „Und so hab' ich denn manches mitangehört." Er setzte sich auf die Bank und zog die Kinder

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heran. Wie schön der Abend ist. . . . Und wie schön die Heimat ist. . . . Kinder, Kinder, macht euch zuerst die Heimat zu eigen, werdet zuerst Heimatsöhne, und dann erst blickt weiter.“

Er legte den Arm um Hein.

„Auch du. Du bist es deiner Mutter schuldig, die die rheinische Heimat und alles, was dazu gehörte, mehr liebte als ihr Leben. Mehr — viel mehr. Glaube, ohne zu sehen, mein Junge. Deine Mutter spricht aus mir."

Er füßte den Knaben auf die Stirn und erhob sich.

„Wir wollen jetzt zu unserem Grabe gehen und die Kränze auf dem Hügel ordnen, bevor es zu dunkel wird. In den nächsten Tagen pflanzen wir Rosen darauf, die im Frühjahr blühen. Kommt, Kinder."

Die kleine Sibylle schmiegte ihr Händchen in Heins Hand. Der neue Freund hatte einen märchenhaften Schein in ihren Mädchenaugen bekommen. Wie ein verkleideter Prinz schien er ihr. Und sie gingen aus dem Burgtor hinaus, das, vom herbstroten Wein umrankt, in der Abendsonne leuchtete, die 20 Dorfgasse hinab zum Kirchhof. Dort ordneten und schmückten sie in heißem Eifer den braunen Erdhügel.

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Der Joseph war nach Köln gefahren um seine alte Mutter zu holen. Sibylles Erziehung verlangte eine Frauenhand. Acht Tage blieb er verschwunden. Aber der Herr kannte 25 seinen Mann und sorgte sich nicht. Jeden Abend, bevor es

dunkelte, stieg er mit den Kindern auf den Turm und ließ sie

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durch das Fernrohr blicken und erklärte ihnen, wonach sie fragten. Und die Kette des Siebengebirges zog sie am meisten an.

„Erzähle mehr, Vater."

„Ich habe viele Länder der Erde gesehen. Keins so schön 5 wie unser rheinisches Land. Und am ganzen Rhein fand ich nichts, diesem Flecken Erde vor uns zu vergleichen. Ob ich draußen in der Welt mächtige Gebirge sah mit ewigem Schnee auf den Häuptern und Eisgletschern in den Flanken, ob ich phantastisch geformte Gipfel und unendliche Ketten erschaute 10 - nichts, nichts so ergreifend wie dieser stille Zug der sieben Berge. Wie viele Märchen und Sagen hat das Volk hineingebannt, von Schneewittchen bei den sieben Zwergen,2 von Siegfried, der den Drachen erschlug, vom Helden Dietrich von Bern, der den Riesen tötete, von wilden Jägern, Schatz- 15 jungfrauen, glühenden Männern und Heinzelmännchen.3 Dort oben, auf steil zum Rhein abstürzender Klippe, seht ihr die Ruine Drachenfels ragen. Malt euch das Bild aus: Gipfel bei Gipfel mit einer Burg gekrönt. Die Wolkenburg, die Rosenau, die Löwenburg. Denkt sie euch gegen den 20 Abendhimmel stehen, von der Abendsonne glühend umschmeichelt. Die Stürme der Kriege haben sie hinweggefegt von den Bergen, nicht aus unserer Phantasie.“

„Dort vor uns im Dorf liegt ein großes Burghaus. Wem gehört es?"

„Das ist die Burg der Freiherren von Breitbach, von denen unser Dorf den Namen hat. Einst, vor langen Jahren,

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