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„Der Heinrich?" fragte sie.

Ich habe den Sohn einer verstorbenen Freundin aus Straßburg hergebracht. Er lebt nur mit mir und dem Joseph. Da werden dem einsamen Jungen die Spiel5 fameraden guttun."

„Meinen Sie denn," fragte die Frau stockend, „meinen Sie denn daß wir länger bleiben?"

„Sie dürfen es ruhig. Ich habe nicht viel mehr Anspruch auf die Burg als Sie."

"Ich verstehe Sie nicht."

„Die Burg ist Klostergut. Man hat mir erlaubt, sie zu beziehen und das Anwesen instand zu halten. Ich hatte gute und einflußreiche Freunde. So bin ich denn eigent= lich selber nur Gast in diesen Mauern. Lassen Sie sich, 15 ohne viel zu fragen, die gleiche Gastfreundschaft gefallen.“

„Darf ich jetzt wissen," fragte sie leise, „wie ich meinen Wohltäter zu nennen habe?"

„Nein, ich bin nicht Ihr Wohltäter. Wenn wir unglücklichen Menschen helfen können, so ist das wie ein Ausgleich 20 alter Schulden."

„Wie aber darf ich Sie nennen?"

Der Hausherr blickte in den Garten hinaus. Seine breite Brust sog den frischen Duft ein und sein Ohr das Vogelgezwitscher.

25 „Ich habe meinen Namen fast vergessen. Was liegt daran? Der Knabe nennt mich Oheim und der Knecht Herr. Die Leute im Dorf aber sagen: der Eremit von

Breitbach. So zurückgezogen lebe ich. Oder sie sagen auch kurz: der Alte."

„Sie sind noch nicht alt," meinte die Frau und sah ihn an.

„Ich bin fünfzig Jahre. Damit beginnt man eigentlich erst aus dem vollen zu leben, wenn sich die Spreu vom 5 Weizen gesondert hat. Aber der Name hat sich nun einmal an mich gehängt und besteht. Ich werde also wohl für Lebenszeit der Eremit von Breitbach und der Alte bleiben."

Noch immer sah die Frau ihn fragend an, aber das Gefühl 10 des Friedens wurde stärker in ihr.

„Ich verstehe Sie. Man kann auch ohne einen Namen ein edler Mensch sein."

Behutsam klopfte es an die Tür. Der Hausherr erhob sich schnell.

„Sie müssen mich ein paar Minuten entschuldigen," sagte er mit einem heiteren Lächeln. „Auf die Gefahr hin, daß ich Sie sehr ernüchtere: ich muß in die Küche. Der Joseph kommt nicht allein zurecht."

Ich werde sofort -"

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„Hand anlegen? Nein, das werden Sie nicht. Sie werden sich heute nur als Gast fühlen. Das sähe ja aus, als ob ich mir die Leute einfinge, nur damit sie mir meine Wirtschaft in Ordnung brächten. Meine und Josephs Anschauung von rheinischer Gastfreundschaft würde schwer darunter 25 Leiden."

Als der Hausherr nach kurzer Zeit zurückkehrte, fand er

seinen Gast eingeschlafen. Er ging zur Tür zurück und rief gedämpft Joseph" in den Gang. Der erschien sofort.

Komm," sagte der Herr furz, wir wollen sie hinaufbringen.“

5 So trugen sie sie aufs Bett, und deckten sie vorsorglich zu.

"Ich werde jetzt mal zum Hein hineingehen. Er muß doch wissen, daß Besuch da ist, und auf dem Posten sein.“

Im ersten Stockwerk lag das Zimmer des Hausherrn 10 neben dem Zimmer des Knaben. Als drittes schloß sich ein Arbeitszimmer an. Schwere Balkenlagen bildeten die Decken. An die bleigefaßten Scheibenfenster klopften die Rosenzweige und die Ranken des wilden Weins.

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Er öffnete die Tür zum Zimmer Heins.

Der Knabe lag, die Arme um den Kopf geschlungen, und holte in festem Kinderschlummer die verlorenen Stunden der Nacht nach. Er erwachte auch nicht, als ihm die Männerhand das goldblonde Haar aus Stirn und Gesicht strich.

„Hein - heda, Siebenschläfer, wach' auf — deine ersten Pflichten stehen vor der Tür."1

Der Knabe schlug verwundert die Augen auf und lag, die Arme um den Kopf geschlungen, wie bisher.

Was steht vor der Tür, Oheim?"

„Deine ersten Pflichten, Hein. Was das ist, meinst du? Es ist Besuch gekommen, großer und kleiner Besuch. Dem kleinen Besuch aber hast du die Ehren des Hauses zu

erweisen, so will es alte, gute Sitte. Wenn du dich nicht beeilst, wird es die umgekehrte Welt, und der Besuch kommt an dein Bett, um dich zu bedienen. Das wäre!" 1

„Ja, das wäre!" rief der Knabe und sprang mit beiden Beinen aus dem Bett. „Besuch, sagst du? Kinder? Sind 5 es Jungens oder Mädchen, Oheim?"

„Sieh sie dir selber an. Sie sind oben auf der großen Schlafftube. Und frag', ob du ihnen behilflich sein kannst, mit Wasserholen, Kleiderbürsten oder anderen ritterlichen Diensten." Und hinein ging's in die Leibwäsche und in die Kleider. „So ist's recht, Hein. Nicht Nägel und Zähne vergessen. Wer auf untadelhafte Reinheit des Körpers hält, darf auf dem Wams schon ein paar Flicken haben. Gesunde Seele in reinem Leib. Fertig?"

"Fertig, Oheim.“

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Wie der Wind flog der Knabe die Treppen hinauf. Fmmer zwei Stufen nahm er auf einmal. Aber vor der Tür der großen Schlafstube blieb er mit Herzklopfen stehen, wie angewurzelt. Ob die da drinnen nicht größer und flüger waren? Und so schön angezogen, wie er es früher in Straß- 20 burg gewesen war? Er blickte auf sein vergilbtes Lodenwams. Dann faßte er sich Mut. Sauberer als ich, dachte er, können die sich auch nicht waschen. Ich weiß, was der Oheim gesagt hat. Und er klopfte fröhlich an die Tür.

Ein paar Töne wurden vernehmbar. Er nahm sie als 25 Aufforderung, einzutreten, und trat ein. Da huschte er eilfertig die Wände entlang und schlug die Fensterläden zurück.

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Als Hein sich umwandte, stand er vor einem Kanapee und gewahrte ein braunhaariges Mädchen, das sich auf beide Hände stützte und ihn aus braunen Augen verwundert ansah. „Was machst du da?" fragte das Mädchen.

„Ich habe die Schlagläden geöffnet, damit du beim Anziehen sehen kannst."

Was tust du überhaupt hier?" fragte das Mädchen weiter.

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"Ich wohne doch 1 hier auf der Burg," sagte der Knabe, 10 und nun war es an ihm, sich zu verwundern.

Seine Antwort schien Eindruck gemacht zu haben. „Ach,
Dann aber warf sich das Mädchen

der junge Herr . .

herum und ficherte in die Kissen.

Der Knabe trat heran. „Was lachst du nur? Ich heiße

15 Hein. Da ist doch nichts zu lachen?"

„Ich lach' auch nicht, weil du Hein heißt. Das wär' doch dumm."

„Weshalb lachst du denn?"

„Weil in meinen Geschichtenbüchern immer ein Prinz kommt, 20 und einmal füßt er Dornröschen wach, und einmal füßt er Schneewittchen 2 wach. Und dann wird sie Frau Prinzessin und später Frau Königin."

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Seh' ich denn aus wie ein Prinz?" fragte der Knabe, und seine Augen lachten.

Sie richtete sich von neuem auf den Händen auf und betrachtete sein goldblondes Haar und sein feines Gesicht. Dann streifte ihr lustiges Kinderauge sein unscheinbar Wams.

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