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"Freunde, Oheim!"

„Wir wollen unseren Enthusiasmus aufsparen," meinte er trocken, bis sie wieder über den Rhein sind. Dort ist Feindesland, nicht hier."

5 Der Reitertrupp trabte stumm durch die Dorfstraße. An den Fenstern zeigten sich Köpfe, die erschrocken zurückführen. Wo noch ein Licht im Dorf brannte, erlosch es jäh. Und die Stille war tiefer als vorher.

In der Ferne aber vernahm man Räderrollen und Hufge10 flapper.

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Der Hausherr lauschte, Furchen auf der Stirn.

„Sie geben das linke Rheinufer auf. Ade, du friedliches Rheintal. Die Franzosen werden dir ihre Segnungen bringen."

„Oheim, ein neuer Reitertrupp! Hinter ihm ein paar flüchtende Menschen! Viele, viele Reiter! Fußvolk! Kanonen! Wagen! Und das Mondlicht darüber her. Wie ein Geisterzug."

„Wie ein Geisterzug," wiederholte der Mann und blickte 20 ihm nach. „Das war im Mittelalter, als man den Rhein

des römischen Reiches Pfaffengasse nannte.1 Die Geisterstraße wäre besser. Was zog nicht alles2 hier vorüber, um zu sterben."

„Oheim," bettelte der Knabe, „laß mich die Nacht mit 25 dir aufbleiben. Es kommen immer noch Menschen, und ich werd' doch nicht schlafen können. Ich will ganz still sein und dir zuhören. Ich hab' ja niemand als dich, und

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du bist mir" — er suchte nach einem lieben Wort „du bist

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mir wie ein Vater."

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Der graubärtige Mann erwiderte nichts. Er sah nur immer den Knaben an. Dann winkte er ihn zu sich.

„Komm ganz nahe an mich heran. Es ist kalt, und du 5 mußt viel Wärme haben."

Und er schlang den Arm fest um die jungen Schultern.

„Wir wollen plaudern, damit die Nacht und die Wacht vergeht."

„Dort drüben das Rheintal, das ist Mutters Heimat, 10 Oheim. Und nun auch meine. Sprich mir davon."

„Soll ich den Geisterzug reiten lassen?“

„Oheim!"

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„In dem Land, das du vor dir siehst, saß vor Urväter Gedenken ein großer germanischer Stamm, die Ubier.1 Und 15 weil sie römerfreundlich waren, siedelte man sie in den festen Plätzen an, in denen die Römer ihre Quartiere bezogen, in Andernach, Remagen, Bonn, Köln,2 damals genannt Antunnacum, Rigomagum, Bonna und Colonia Agrippina.“ „Die Franken kamen vom Niederrhein, tapfere Mannen,4 20 großzügig im Planen und stark im Vollbringen. Sie ließen die Ubier in ihren Scharen verschwinden und bekriegten tapfer die Römer, unterwarfen die Bataver, die Holländer, und gewannen des Rheins Mündung ins Meer. Aus ihnen wurde uns Karl der Große 5 geboren, dessen Liebe nicht zu- 25 letzt dem Rhein galt, und der in stillen Mondnächten an den Ufern des Rheins wandelt, um die Reben zu segnen, wie die

Sage uns kündet. Und Roland, sein bester Paladin,1 saß dort drüben auf der Rolandsburg, liebewund, bis er noch einmal dem Ruf seines Kaisers und Herrn folgte und aus dem Todestal von Roncesvalles 2 sein Hifthorn den letzten 5 Heimwehseufzer an den geliebten Rhein sandte."

Der Blick des Knaben suchte seine Züge. Da fuhr er fort: Und von Stund' an ritt durch das herrliche Rheintal, was zu reiten vermochte. Deutsche Kaiser und Fürsten, Ritter und Heckenritter, Bischöfe und Äbte, Bürger und 10 Bauern. Wie ein Magnet zog der Rheinstrom sie alle an. Weltliche und geistliche Fürsten bekriegten sich um ihn, die Städte rüsteten gegeneinander und gegen ihre Oberen, die Bauern erhoben sich zum blutigen Gemetzel- aber das alte Rom lebte noch, wenn auch in neuer Gestalt. Der Krumm15 stab blieb Sieger am Rhein, und der Kurfürst von Köln hütete seine Schafe. Bis zur Stunde. Der Rhein ist der Puls des deutschen Vaterlandes. Als ganz Germanien noch im Dunkeln lag, strömte durch das Rheintal die Woge der Kultur, und sie trug ihren Segen in tausend leuchtenden 20 Kanälen durch die deutschen Lande nah und fern. Deshalb darf der Rhein nur in der Faust eines Starken und Kühnen sein, der ihn als Krondiamanten zu schätzen weiß. Der Krondiamant in fremden Händen - und die deutsche Krone fann in den Trödelladen."

25 Der gestirnte Nachthimmel verblich. Längst war der Mond geschwunden. Kühl wehte es vom Rheintal herauf. Friert dich, Hein? Dann wollen wir gehen."

Ich kann nicht schlafen, Oheim." Aber die Stimme war schlaftrunken.

„Ich hör den Joseph auf der Stiege. Er soll uns eine Suppe wärmen. Weshalb kommst du, Joseph?"

„Herr," rapportierte der Schnauzbart und machte ein 5 feierlich Gesicht. Aber die rheinische Mundart war flinker als die Feierlichkeit. Här," griente er, „et is jet passiert.“1 Was ist passiert?"

„Der Kurfürst es laufe gegange."

„Der Kurfürst hat Bonn verlassen? Hat sein Land, hat 10 den Rhein verlassen? Jetzt? In der Stunde der Gefahr? Mensch, besinne dich! Das ist nicht möglich. Hast du noch mehr gehört?"

„Dä gesamte Hofstaat hät Bonn verlasse un 2 die gesamte hohe Geistlichkeit mitsamt dem Adel."

Der Knabe lehnte an der Brüstung. Die Augen waren ihm zugefallen.

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Das Frühlicht zog über den Himmel. Noch sah man die Sonne nicht. Über dem Rhein brauten Nebel und schlugen Strom und Ufer in ihre nassen Schleier. Ein paar Vögel 20 wachten auf, ängstliche, unruhige Schreier. Auf der Landstraße rasselten Reisewagen, und fluchende Kutscher knallten mit den Peitschen.

Die Männer stiegen ins Haus hinab und legten den friedlich schlummernden Knaben auf sein Bett. Tief beugte sich 25 der Herr über ihn. Der Knecht stand unbeweglich. Der Herr mochte beten.3

Dann gingen sie beide zur Küche und fachten das Feuer für die Morgensuppe an.

„Da kommt ein Wagen zu uns, Joseph-"

"Flüchtlinge? Ich werde mal selber nachsehen."

5 Ruhig schritt der Herr durch den alten, gewölbten Steingang, die Stufen hinab in den Garten und zum grünbewucherten Tor. Einmal nur hielt er den Schritt an und horchte in die Höhe...

Da saß im jahrhundertalten, immergrünen Lebensbaum 10 die Amsel und sang unbekümmert in den neuen Morgen hinein.

II

Eine alte Reisekalesche hielt vor dem Tor. Sie bot ein erbarmungswürdiges Bild.

Der Hausherr trat an den Wagen und blickte in das In

15 nere.

„Ich wünsche einen guten Morgen,“ sagte er. „Kann ich Ihnen mit irgendeiner Sache dienen?"

Vier Menschen saßen zwischen Schachteln und Reisetaschen eingezwängt im Wagen. Auf dem Vordersitz eine schmale, 20 blasse Frau mit fiebrig blickenden Augen. Neben ihr, auf

recht und frisch, ein achtjähriges Mädchen, braunäugig und das Köpfchen von braunen Locken umhüllt. Auf den Rücksitzen zwei Knaben, vierzehnjährig und zwölfjährig. Der jüngere schlief mit offenem Munde. Der ältere blickte ernst 25 und nachdenklich vor sich hin.

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