Und führet dennoch dich Wer nennt das schöne Weib Steht dort, wohin sie blickt. 5. Von zwei Worten will ich ein Sinnbild euch geben, Sie sind das Höchste und Schönste im Leben. Das Erste, es ist ein gewichtiges Wort, Es deutet das schaffende Leben, Nicht rastet und ruht es, es treibt sich fort, Es denkt und handelt bis an das Grab, Es schafft und zerstört, zerstört und schafft, Sie soll sich zu Thaten erheben, Zur Frucht soll sie reifen, zur nährenden Frucht, Das ist's, was kämpfend der Wille versucht. Nach Außen will weit es, will immer es hin, Die Welt, die ist ihm das Leben, Im All' zu leben ist sein Bemühn, Bis endlich am Tode die Kraft sich bricht. Das Zweite ist ein schönes, ein liebliches Wort, Es deutet das bildende Leben, Es liebt sich gern an gewöhntem Ort; Es will nicht Alles erstreben, Es denkt und dichtet bis an das Grab, Und scheuet was weit, und scheuet was fern, Es liebt so lang's lebt, und lebt so lang's liebt, Und wenn die Knospe, die liebliche, blüht, So treibt es holdselig das fromme Gemüth, [Auflös. 1. Das Gewissen; die Schuld*). 2. Schönheit, Wahrheit und Güte. 3. Der Geist und die fünf Sinne. 4. Glaube, Liebe, Hoffnung. 5. Der Mann; das Weib.] § 28. In einem Lehrgedichte einverwebt findet sich das Räthsel in dem aus zwei Gesängen bestehenden alten Lehrgedichte aus dem zwölften Jahrhunderte: „König Tyro von Schotten und Fridebrant sein Sohn**)". *) Das Kind, im Blumenthal gebettet, Da naht die Schuld dem schönen Thale, O! hegt das Kind mit Muttertreue, **) Das Original in: Von der Hagen's Minnesänger, 1. Thl. Leipz. 1838, S. 5. Die Uebersetzung von Böckh in: Bragur, ein litterarisches Magazin der deutschen und nordischen Vorzeit, herausg. v. Böckh und Gräter, 1. B. Leipz. 1791. S. 223. Friedreich, Gesch. d. Räthsels. 5 Im ersten Gesange legt Tyro seinem Sohne religiöse Räthsel vor, die von letterem aufgelöst werden: Daß sie sich weit und breit ob allen Bäumen sehen ließ. 2. Als nun die Morgenzeit begann, Da brach ein Balsamdüftchen an, Daß jeder Baum den Duft empfing: Der andre faul und ausgedorrt; so wie das Düftchen wehte hin. 3. Der grüne und der dürre Baum, Jeder giebt einem Vöglein Raum; Von jedem Reis der Böglein Schall; Bom Dufte nehmen sie die Kraft. Der dürre Baum nur und sein Vogel mit stetem Jammer find behaft. Mit schlichtem Sinne, lieber Sohn, so ist mein Lehr wohl angewandt. Fridebrant. 5. Da sprach der junge König weis : Mein lieber Herr, gönnt mir den Preis. Den grünen Baum will ich euch deuten. Mit Recht blüht er im Schmuck der Freuden; Er deutet einen Priester an, Der würdig Gott empfäht, weil er nie eine Hauptsünd hat gethan. 6. Vor Schaam wird mir die Wange roth: Wenn ich das heilge Himmelsbrod Vergleiche mit des Balsams Ziel **), C Denn wenn der Priester Messe hält, Kömmt Gottes Gnad wie Balsamduft; Brod wird mit Fleisch und D. i. in voller Pracht. D. i. worauf der Balsam in dem Gleichnisse in der zweiten Strophe zielt. 7. Fragt ihr, wie's um den dürren steht: Den süßen Gott; doch wirft der Thor Der falsche Priester ist der Baum, und seine Seel das Vögelein. 8. Die Christenheit ist mir der Wald, Ihr Seel ich für die Vöglein halt, Und doch auf Gott im Glauben sehn, Wie er sich birget in ein Brod. Mit Recht ihr' Vögel fingen müssen: ihr Seel' entgeht der Höllen 9. Ihr Laienfrauen, wo ihr steht, Und auf zu Gott festgläubig feht, Soviel man Schändliches von ihm spricht; Er selbst tritt sich in Jappes Stift*); Wenn er den süßen Gott empfäht, verschlingt er Vippern- 10. Welch Priester würdig Gott empfäht, Nichts kömmt an Würde beiden gleich. Sie fingen alle: Wohl uns dein! Du hältst uns in so treuer Hut, daß wir entfliehn der Höllenpein. 11. Trag ich die Krone auf dem Haupt; Der Vorgang Priestern sei erlaubt, Und füllen selbst mit dem sich an, was sie den Laien scharf vérbieten. 12. Doch alle Priester sind nicht so. Zeigt sich ein reiner irgendwo, *) D. i. Spite, Stachel, und ein Wurfeisen, das man zur Falle legt. Was Jappe andeuten soll, läßt sich schwer errathen; vielleicht ist es der Name entweder eines Verfertigers oder Legers solcher Falleisen, oder der Name eines, der in ein folches Falleisen getreten und sich dadurch verlezt hat. Eigentlich will es so viel sagen als: er verletzt sich selbst", wie oben in der siebenten Strophe: „der Thor wirft sich selbst den spißigen Augel vor“, d. h. der Thor läuft selbst in den Angel, er verletzt sich selbst. " Dem Sünden-See zum Damm ist Er. Nun lohn dir Gott, viel lieber Sohn; weißt du soviel, so weißt ‚ du_mehr*). 13. Euch römschen Pabste hochgenannt Der edle König Fridebrant Legt dieses heilge Gleichniß vor, Dem römschen Vogt, vom Fürsten-Chor Erwählt; was frumme Stäbe trägt Und wem man eine Platte scheert, sei dieses Beispiel vorgelegt **). Tyro. 14. Dem Daniel Wunders mehr geschah, Ein starkes Mühlenwerk er sah, Das lag an einem Flusse tief; Der obre konnte stille liegen: Was mit der Mühle sich begab, das wär mir leid, blieb dir's verschwiegen. 15. Am Mühlenwerke geht ein Rad, Das zwei und siebzig Kämme hat, Nie reiner Holz auf Erden ward. Nun weißt's, wie's um das 16. Dies Mühlenwerk besorgt ein Mann, Band Der nahm nie Fleisch noch Beine an; Da stund er still; und schnell begann Durch eines kleinen Wassers Trieb der obre Stein zu laufen an. 17. Das Kind, das hatte Knappen, zart,surdo Da der Oberstein kam an die Fahrt, ann pise 12v Sprach es: ihr sollet euch bewegen, Des obern Steines wohl zu pflegen.. Will sich der untre wieder heben, all So drückt ihn, wie ich hab gethan; ich will dafür den Lohn euch geben. Fridebrant. 18. Herr, ihr habt sonderbaren Muth,. Daß ihr an mich die Frage thut. *) Nach dieser Zeile wäre anzunehmen, daß jezt König Tyro das Wort wieder genommen habe; allein nach dem Originale kommt Tyro erst in der vierzehnten Strophe wieder redend vor. **) In dieser Strophe dedicirt Fridebrant seine Auslegung dem Pabfte, den Bischöfen und der ganzen Klerisei. |