Er suchte beides, Wild und Zahm; Von mancher falschen Fahrt er ihn mit Sorgen nahm. Dem nie ein Räthsel Widerstand gewährte, Klingsor, wer ist der Jäger? Kannst du seinen Hund mir nennen, So ist dir Meisterschaft gewährt. Der Jäger sucht nichts auf, als was ein Arzt begehrt. Eine Aeffin lief por ihm in Eil: Da ließ er seinem Leithund schießen gleich das Seil; Sie trag der Kinder zwei auf beiden Armen. Hin würfe fte das leide Kind gern bei des Hornes Schalle, Doch fest am Hals ihr hielt sich das: Sie konnt es nicht entlassen, trug sie ihm auch Haß; Dieß Thier sein Leben hier verzehrt; Das leide Kind wie ein Wunder von dannen fährt, Das leide Kind und all die Wunder deute mir, Klingsor. Der Jäger ist der Tod genannt, Er führt der Seuchen mancherlei an seiner Hand, Er heßt dich mit der Seuche, bis du alle Sünd' ertränkest Die hohe Warnung er zu deiner Beßrung thut; Sonst hülf er seinem Hunde, daß du sänkest. Die Seele legt Natur in Bann: So Mann als Frauen, eure hohe Menschheit kann Sie wohl im Sturm in Höllenfeuer wehen. Man findet Leute, so beschied Mich Savelon **) von Babylon, die immer mit Der eigenen Natur den Kampf bestehen, Dem Teufel hilft Natur, an dir fein Zürnen zu vollbringen. Ich lehre dich, was dich befreit: Scham und Sinn und hütende Besonnenheit: Das schüßt dich, wenn du's haft, vor Höllenschlingen. Getreuer Jäger, mir ist kund, Du warnest manchen mehr als zehen Mal; den Hund *) D. h.,,du weißt so viel zu sagen, als hättest du acht Zungen in deinem Munde"; damit will Wolfram dem Klingsor etwas Schmeichelhaftes sagen. Ein ähnliches Lob wird dem Tragemunt (§ 42) gespendet: „es seien ihm zwei und siebzig Länder bekannt". **) Der Name eines Zauberers, Sterndenters, der auch anderswo (in Zabulons Buch) von Wolfram Zabulon genannt wird. Wenn du das Thier noch schonen willt, ・・ So brichst du ab und suchest dir ein ander Wild: So mag dir weder Jung noch Alt entfliehen.. Wohl dienst du manchem argen Mann in deiner zorngen Weise: Und allzulang in deines Hundes Angriff steht, So schlägst du's Lucifern zu seiner Speise. Der Affe zielt auf manchen Mann: Wenn ihn der Tod mit seinem Hunde hezt, alsdann Wohl gerne würf er weit hinweg die Sünde. Doch mag er nun das leide Kind nicht lassen vor der Liebe, Mit der er fest am Gute hält. Das ist sein trautes Kind, das ihm nun doch entfällt, Nun seht dieß Bild, wie mit ihm fährt י Das leide Kind und ihm so viel der Freuden wehrt. Das leide Kind ist Sündenleben: Hälst du die Buße nicht, die dir die Priester geben, Sünd' ist verwiesen aus des Himmels Reichen. Gott gibt für Sünd' Erbarmen dem, der sie mit Reue suchet. Daß er ward einer Jungfrau Kind, vom ew'gen Tod Uns zu befreien; wir wären sonst verfluchet. § 42. Das dem vierzehnten Jahrhunderte angehörige Tragemunts= lied stammt von der alten Gastfreiheit. Wanderer, Wallfahrer, Pilger u. dergl. wurden mit Herberge, Speise und Trank bewirthet; da aber auch schlechtes Gesindel und Vagabunden nicht selten Einkehr begehrten, so legte der Bewirthende Räthselfragen vor, um zu sehen, ob der Fremde zur Ehre des Gastgebers antworte, ob er einer gastfreundlichen Aufnahme würdig sei. Analoges finden wir in der Edda, wo die Riesen und Zwerge von Odin und Thor durch Rähfelfragen geprüft werden, ob sie wirklich so weise und klug seien, als von ihnen ausgesagt wird. *) Schon diese Analogie mag mit zu den Beweisen gehören, daß das Tragemuntslied altdeutschen Ursprunges ist, und nicht, wie Einige, welche das Wort von Dragoman, Dolmetscher, ableiten und es Dollmetscherlied nennen **), glauben, aus dem Osten zu uns herüber gewandert sein soll. Grimm ***) bringt das Wort Tragemunt Man sehe das § 39 und 40 angeführte Wafthrudnismal und Alvismal. **) Dies thut z. B. Vilmar (Geschichte der deutschen Literatur, 5. Aufl. 1. B. S. 406), ohne jedoch einen Grund dafür anzugeben. ***) Altdeutsche Wälder, 2. Bd., Frankf. 1815, S. 27. mit Tragebobo, Tragaboto, Traboto, d. i. Bote in Verbindung, und da die Begriffe von Bote und Pilger und Gast zusammenschmelzten, so erhalte dadurch das Wort Tragemunt seine Bedeutung; auch spricht dafür folgende im ,,König Orendel" vorkommende Stelle: Ein Alterthum bürgt dem andern. Diese Stelle sei ein episodischer, epischer Einfluß aus unserm Gedicht, oder eine wirkliche Anspielung; es kann nicht bestritten werden, daß der Name Tragemunt unserer ältesten Poesie an= gehört, und es ist noch besonders bemerkenswerth, daß die lezte Zeile von obiger Stelle aus,,König Orendel" dem Wiederholungsfaße im Trage= muntsliede [,, zwei und siebenzig lant die sint dir funt"] vollkommen ent= spricht. Nachdem Tragemunt, als fahrender Mann, bewillkommt ist, legt ihm sein Gastfreund folgende Räthselfragen vor*), die ich in unsere Sprache folgendermaßen übertrage: Frage. Nun sage mir, Meister Tragemunt, Zwei und siebenzig **) Länder find dir bekannt: Welcher Baum trägt ohne zu blühen? Welcher Vogel säugt seine Jungen? Welcher Vogel hat keine Zunge? Welcher Vogel ist ohne Magen? Kannst du mir dieses sagen, So will ich dich für einen stattlichen Knappen halten. Antwort. Das haft du gefragt einen Mann, Der dir dieses aufrichtig sagen kann: Der Wachholder trägt ohne zu blühen ***), Die Fledermaus säugt ihre Jungen†), *) Das Original steht bei Grimm a. a. D. Ein verstümmelter Abbruck daraus bei Deser, Geschichte der deutschen Poesie, 1 Thl. Leipz. 1844, S. 154. **) D. h. sehr viele; 72 ist die poetische, wunderbare Zahl der Größe. Aehn lich sagt Wolfram zu Klingsor in dem Räthselkampfe (§ 41): „du haft acht Zungen in deinem Munde". ***) So sagt auch ein altes deutsches Räthsel: Rath, Ritter gut, Was trägt ohne Bluth? †) Die Alten rechneten die Fledermäuse zu den Vögeln. ++) Der Storch hat keine Stimme (er flappert nur mit dem Schnabel), daher glaubten die Alten, daß er keine Zunge habe. Der Swarbe*) ist ohne Magen. Zwei und siebenzig Länder find dir bekannt: Kannst du mir dieses wohl sagen, So will ich dich für einen stattlichen Knappen halten. Antwort. Das hast du gefragt einen Mann, Der es dir gründlich sagen kann. Die Sonne ist weißer als der Schnee, Oder warum sind die Frauen also lieb? Durch was sind die Ritter so kühn? So will ich dich für einen stattlichen Knappen halten. Antwort. Du hast gefragt einen Mann, Der es dir gründlich sagen kann. Von mancher Quelle ist der Rhein so tief, Von hoher Minne sind die Frauen also lieb, Von manchen Kräutern sind die Matten grün, Von mancher starken Wunde sind die Ritter kühn. Ich sage dir's weiter dir zu Ehren. Frage. Nun sage mir, Meister Tragemunt, Zwei und siebenzig Länder sind dir bekannt: Durch was ist der Wald so grau? Durch was ist der Wolf so weiß? *) Es ist unbekannt, welches dieses Thier sein soll. Grimm glaubt, es sei ein mythischer Vogel; Simrock übersetzt in seinem deutschen Räthselbuche mit Taucher". " **) D. h. der Baum, der auf dem Gipfel des Berges steht. Durch was ist der Schild verblichen ? Weshalb hat mancher gute Gesell den andern verlassen? So will ich dich für einen stattlichen Knappen halten. Antwort. Von manchem Alter ist der Wald grau, Von unnüßen Gängen ist der Wolf weiß *),.. 13. Von manchem starken Heerzug ist der Schild verblichen, Wegen Treulosigkeit hat mancher gute Gesell den andern verlassen. Ich sage dir's weiter dir zu Ehren. Frage. Nun sage mir, Meister Tragemunt, Zwei und siebenzig Länder sind dir bekannt: Was ist grün wie der Klee? So will ich dich für einen stattlichen Knappen halten. Der dir dieses gründlich sagen kann. Die Ageleie**) ist grün wie der Klee, Und ist schwarz wie der Kohl, Und hüpft leicht wie das Füllen. V. § 43. Nebst dieser bisher erwähnten ernsten Bedeutung kommt dem Räthsel aber auch durch seinen Wiß und seine Laune eine erheiternde, fröhliche, scherzende zu, wodurch es sich im socialen Leben eine besondere Geltung verschafft hat. Wir erwähnen hier das Räthsel bei den Gast= mahlen, reihen an die Heiterkeit des Mahles den Frohsinn der Liebe mit seinen erotischen Räthselliedern, und erwähnen dann das eigends für Scherz und Laune geschaffene Neckräthsel. (§ 44 bis 48.) . *) Von vereitelten Gängen des Wolfes ist in der Thierfabel oft die Rede; dieses Betrogenwerden › verursacht dem Wolf Kummer, und er altert vor der Zeit, wird weiß. **) D. i. die Elster (Ageleister, Aglaster, Azel), von der gesagt wird, sie habe kleegrüne Augen, eine weiße und eine schwarze Farbe, und einen hüpfenden Gang. |