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Sprache betrifft, so würde Shakespeare in ihr der Wahrheit treuer geblieben sein,

wenn er nicht dem unseeligen Geschmack gehuldigt hätte, Dramen in Versen zu schreiben. Nach meinem Urtheil gibt es nichts Abgeschmackteres, als wenn auf den Brettern, welche die Welt bedeuten, Menschen in jener steifen, geschraubten, stelzenhaften, naturverhöhnenden Sprache auftreten, die dem Publikum in fünffüßigen Jambenversen die Noth des Poeten wie des Schauspielers förmlich vormißt oder vorskandirt.

Doch die Poeten, die nichts unbesungen gelassen, was die Menschheit verdummt, geknechtet und geschändet hat, erinnern mich daran, daß die Unwahrheit nicht unsre letzte Station bildet und daß wir noch eine höhere Etage zu besuchen haben, wo die Amme der meisten Poeten wie der meisten Prosaiker, nämlich die Lüge wohnt. An ihrer Hand, obschon mit den Poeten beginnend, treten wir aus dem IdeenReich in das wirkliche Leben ein. Nachdem wir das Gebiet der Erkenntniß und das der Kunst mit einem Ueberblick durchmessen, langen wir im Gebiet der Sittlichkeit an, worin die Wahrheit kämpft mit der Lüge.

Die Lüge! Müßten wir die Natur nicht ausnehmen, welche allein nicht ligt weil sie nicht kann, so wäre die Lüge ein eben so umfassendes Wort, wie die Wahrheit. Wer kann mir einen Winkel im Bereich der zivilisirten Menschheit nennen, wo keine Lüge zu Hause ist? Ließen Lügen sich mit der Flinte erlegen, jeder Schuß, nach einer beliebigen Richtung abgefeuert, brächte eine Lüge zu Boden. Wie im Faust gesagt wird, daß das Leben, wo man es nur packe, interessant sei, so läßt sich auch sagen: wo man es packt, bleibt Einem eine Lüge an den Fingern hangen. Ich spreche, nota bene,

von dem Leben der zivilisirten Menschheit, die nach Noahs Zeiten neu aufgelegt wurde. In einem selten gewordenen Buch, den Memoiren des Abbe Morellet über die französische Revolutionsperiode, las ich neulich einen humoristischen Brief Franklins über das Weintrinken, worin er, von dem Wort "in vino veritas" ausgehend, darthut, daß die Menschen vor Noahs Zeiten keine Wahrheit gekannt, weil sie keinen Wein gehabt, und deshalb zu Grunde gehen mußten; die zweite verbesserte Auflage aber, durch Noah mit dem Quell der Wahrheit beglückt, habe erst Anspruch auf eine dauernde Existenz gewonnen. Das lautet recht hübsch, namentlich im Munde eines Yankee. Aber Franklin hat nicht bedacht, daß die Ureltern der vornoahschen Menschheit vom Schöpfer" des Weinstocks für die erste Wahrheit, die sie begingen, schon aus dem Paradiese gejagt wurden. Auch lehrt leider die Geschichte, daß erst nach der Wasser-Sündfluth, welche die erste Menschheit verschlungen haben soll, jene Sündfluth von Lügen in die Welt kam, gegen welche ein Ozean von Wein kein Gegenmittel liefern könnte. Voltaire erzählt irgendwo, um die Religion der Liebe zu charakterisiren, von zwei Schiffbrüchigen, welche sich an eine unbekannte Küste retten und beim Vordringen in's Innere von der größten Furcht erfüllt sind, auf Wilde zu stoßen und lebendig gefressen zu werden. Plötzlich aber sieht Einer von ihnen in der Ferne einen Galgen stehen und beruhigt ruft er aus: Gottlob, wir sind in einem christlichert Lande!" Aehnlich könnte Einer, zum Willkommen mit einer ausgesuchten Lüge empfangen, beruhigt ausrufen : „Gottlob, wir sind in einem zivilisirten Lande." In der That, die Lüge ist ein Kind der Zivilisation und da wir

schon von ihren gefeiertesten Repräsentanten, den Poeten, gesprochen haben, können wir ihnen gleich das Zeugniß ertheilen, daß sie als Puhmacher und Friseure der Lüge zur Verbreitung und Beliebtheit derselben vielleicht nicht weniger beigetragen haben, als die Wächter und Vormünder der Lüge, die Pfaffen.

Durchmustern wir die menschliche Gesellschaft in ihren verschiedenen Schichten und Thätigkeitssphären, Kundgebungen und Bestrebungen, so könnten wir versucht werden zu glauben, der Mensch sei zur Lüge geboren. Gehen Sie von der unschuldigsten Manifestation, der täglichen Unterhaltung, aus: wie viel Menschen finden Sie, die nur bei der einfäl tigsten Erzählung, bei dem unbedeutendsten Thatsachenbericht, geschweige bei der Beurtheilung anderer Personen, zuverläßig sind und sich einer korrekten Mittheilung befleißigen! Schon des bloßen Effekts wegen greifen die Meisten zur Lüge. Die Lüge ist ein vortreffliches Mittel der Satyre, wenn sie, wie im Münchhausen, die Lüge selbst durch Uebertreibung bloßstellt, oder, wie im Don Quixote, durch den lächerlichen Eindruck der Ueberbietung dem der gegeißelten Wirklichkeit nachhilft. Aber wo sie nicht entweder einen fathrischen oder einen humoristischen Zweck und Ursprung hat, sollte sie überall Gewissenssache sein. Armes Gewissen! Würde dasselbe nicht schon jedem Weibe Unbehagen verursachen müssen, das durch seine Kleidung die Welt über ihre Körperformen belügt? Jedem Prahler, der großthut mit erlogenen Thaten? Jedem Schriftsteller, der ein Buch in dem unwiderstehlichen Drang herausgibt, die Menschheit zu retten, während er nur an Honorar oder Zeitungslob denkt ? Jedem Kritiker, der aus Kameraderie nichtige Literaturpro

dufte als epochemachende Schöpfungen auspofaunt und Lesenswerthe Erzeugnisse unabhängiger Geister in den Koth reißt oder der öffentlichen Beachtung zu entziehen sucht? Jedem Handschütteler, der Niemanden anreden kann, ohne ihn zu seinem „besten Freund" zu machen? Jedem gehorsamsten Diener", der mit besonderer Hochachtung seine Briefe an alle Diejenigen unterzeichnet, die er innerlich zum Henker wünscht? Jedem Kaufmann, der „zum Einkaufspreise" verkauft, wenn er weniger als 50 Prozent Profit macht? Jedem Wirth, auf dessen Flaschen „Iohannisberger" figurirt, während der Inhalt aus moderirter Essigsäure besteht? In allen Beziehungen und Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens, wo können Sie sich einlassen und beob achten, ohne der Lüge zu begegnen, die in allen möglichen. Formen, bald als einfache Umkehrung der Wahrheit, bald als Prahlerei, bald als Verstellung, bald als Heuchelei, bald als Schmeichelei, bald als Verleumdung, bald als Betrug, bald als Verrath ihr Wesen treibt? Und die Meisten lügen eben so viel durch Das was sie verschweigen, wie durch Das was sie sagen, so daß unter Tausenden nicht Einer aus der Welt scheidet als Das was er wirklich war. Manchen Menschen ist die Lüge so sehr zur Regel, zum Bedürfniß, zur zweiten Natur geworden, daß ihnen an Andren die Wahrheitsliebe förmlich zu einem Element der moralischen Entwerthung wird. Sie wären im Stande zu sagen: jener Mensch ist fchlecht, denn er lügt nicht. Sie wären im Stande zu sagen: In Dem, was jener Mensch sagt, kann er nicht widerlegt, in Dem, was er thut, fann er nicht getadelt werden und sein Charakter verdient alle Anerkennung, aber man kann ihm nicht trauen, denn er sagt immer die Wahr

heit. Will man jedoch einem Menschen, der die Wahrheit spricht, das Allerschlimmste nachsagen und in ihm einen Ausbund von Verwerflichkeit darstellen, so nennt man ihn durchaus unpraktisch" und man sagt ihm nur aus Mitleid eine wohlwollende Schmeichelei, wenn man ihn bloß verrückt oder wahnsinnig nennt. Und so ist denn die große Masse der Menschheit praktisch genug, fast in Allem zu lügen was sie sagt und thut, wie in Allem was sie verschweigt und unterläßt.

Selbst in dem natürlichsten Wechselverhältniß des Lebens, dem der Liebe-welche Heuchelei, welche Perfidie, welche Lüge! „Ich liebe dich" heißt in den meisten Fällen so viel wie: ich will dich betrügen. Dabei wäre die Beantwortung der Frage von Interesse, welches der beiden Geschlechter sich am Meisten der Lüge befleißige und die größte Virtuosität darin entwickle, dasjenige, welches seine Liebe „erklärt“, oder dasjenige, welches sie „bekennt“? Ohne Zweifel dasjenige Geschlecht, welches das Meiste thut und sich gefallen läßt, wobei die Lüge als Hülfsmittel dient, also gegen Schwache · am Uebermüthigsten Thrannei übt und sie am Ruhigsten von Mächtigen erduldet, am Meisten spekulirt und am Meisten schachert, am Meisten politisirt und am Meisten diplomatisirt. Welches dieß Geschlecht sei, will ich nicht verrathen, da die Majorität meiner Zuhörer zum männlichen gehört. Was auch schon mag gethan worden sein, die Verstellungs- und Lügen-Kunst der Weiber in Romanen und Theaterstücken darzustellen, so haben doch die Männer ihnen unwillkürlich Gerechtigkeit wiederfahren lassen durch die bemerkenswerthe Thatsache, daß es noch keinem Manne eingefallen ist, in, einem weiblichen Don Juan ein Ideal der

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