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wollen, aber nicht Alles wissen können, daß wir stets nach der ganzen Wahrheit verlangen, aber immer nur einen Theil derselben erreichen können, hat schon Manche zur Verzweif lung an der menschlichen Vernunft gebracht und in die Arme des Glaubens getrieben. Sie gehören gewöhnlich zu Denen, von welchen Lessing sagt, „das Ziel ihres Nachdenkens sei die Stelle, wo sie des Nachdenkens müde geworden“. Merkwürdiger Widerspruch, aus Wissensdurst auf das Mittel des Wissens zu verzichten, oder Dinge, die dem Forschen unerreichbar waren, erreichen zu wollen durch die Abdankung alles Forschens, den Glauben! Wer wirklich ein ernstes Verlangen hat, hinter die Wahrheit zu kommen, muß von vorn herein Allem abschwören, was Glauben heißt. Ich rede nicht bloß vom religiösen Glauben. Entweder weiß ich etwas, oder ich weiß es nicht. Im ersten Falle kann von vorn herein von keinem Glauben die Rede sein; im zweiten muß ich das Nichtgewußte entweder bezweifeln, oder nach Gründen als wahrscheinlich gelten lassen. Glauben aber heißt etwas für wahr annehmen ohne gerechtfertigten Grund, entweder auf eine Autorität hin, oder aus Schwäche, die sich der Pein der weitern Untersuchung zu entschlagen sucht. Das Wort Glauben gehört unbedingt in das Gebiet der Unvernunft und muß aus dem Gebiet der Wahrheitforschung gänzlich verbannt werden. Die scholastischen Philosophen des Mittelalters haben die Konsequenz der Gläubigkeit am Besten illustrirt, indem sie, ähnlich wie im vorigen Jahrhundert der Düsseldorfer Philosoph Jakobi, das Glauben gradezu als philosophisches Prinzip aufstellten und der Erkenntniß nur die Rolle zutheilten, dasselbe zu rechtfertigen. Ihr Satz lautete:,,ich glaube, damit ich erkenne.“

Sie hätten sagen sollen: ich schließe die Augen, damit ich fehe.

Doch eine eben so große Thorheit, wie die Abschließung des Forschens durch den Glauben, ist die Verkennung der Nothwendigkeit einer Begrenzung unseres Erkennens und Wissens, dessen unendliches und ewig veränderliches Material auch dann keine Erschöpfung möglich machen würde, wenn unserer Existenz weitere Grenzen gesteckt wären. Was ist eher, das Wissen oder sein Gegenstand? Natürlich der letzte, so wie die Speise eher sein muß als die Verdauung. Wenn aber der Gegenstand des Wissens sich stets entrückt, verändert, oder erweitert in die Unendlichkeit hinein, so muß natürlich das Wissen immer hinter ihm her sein und kann ihm niemals ein Punktum sezen. Es gibt ein unendliches Forschen, kein unendliches Wissen. Ein unendliches Wissen ist ein Widerspruch in sich, denn das Wissen kann sich immer nur beziehen auf einen erreichten und erfaßten Gegenstand, die Unendlichkeit aber ist unerreichbar und unerfaßbar. Deshalb gibt es unter allen Leistungen des Unsinns, den die Gläubigen oder ihre Lehrer zu Markt gebracht, keine unsinnigere, als die Aufstellung eines allwissenden Geistes. Sie machen ihn sogar allwissend für eine Zeit, wo ihrer Versicherung nach noch kein Gegenstand seines Wissens, keine Welt, existirte.

Wer sich also unglücklich fühlt, weil er die Wahrheit nicht vollständig sich aneignen kann, laborirt einfach an der Thorheit, eine Absurdität vernünftig machen zu wollen, oder die Vernünftigkeit absurd zu finden.

Dieser Thorheit entspricht die andre, die uns zugängliche Wahrheit gering zu schätzen, weil sie uns nicht Aufschlußz über alle Probleme gibt. Es hat noch Niemand das

Essen verworfen, weil wir nicht Alles effen können, und wir unterlassen nicht das Gehen, weil wir nicht auch fliegen können. Lessing sagt irgendwo, wenn er die Wahl hätte zwischen der erlangten Wahrheit und dem Suchen nach ihr, so würde er das Letzte wählen. Er scheint die Wahrheit mit jenen Weibern gleichzustellen, die reizend sind so lang man um sie zu werben hat, aber den Reiz verlieren wenn man sie besitzt. Ich kann solcher Auffassung nicht beipflichten, bin aber gleichzeitig der Meinung, daß die Befriedigung über den Besiß der Wahrheit den Reiz des Suchens nach ihr niemals ausschließe. Das Gebiet auch der erreichbaren Wahrheit wird stets in so großer Ausdehnung unerforscht vor uns liegen, daß die Sorge um die u n erreichbare eine überflüssige und unberechtigte Voreiligkeit bleibt. Die Endlichkeit oder Begrenztheit des Gebiets der jeweilig erreichbaren Wahrheit aber sollte uns nicht mehr Sorge machen, als die Begrenztheit alles Endlichen überhaupt. Wären Diejenigen, welche die Unfähigkeit des menschlichen Geistes beklagen, Alles zu erkennen, mehr bestrebt, Dasjenige, was er schon erkannt hat, zur Geltung zu bringen, so würde weniger Mühe und Kraft an die Bekämpfung des Glaubens und der Lüge zu verschwenden sein, welche in der intellektuellen Welt die Geistesnacht und in der sittlichen das Unrecht unterhalten.

Doch die Bedenken gegen die Haltbarkeit der Wahrheit haften nicht bloß an der angeblichen Beschränktheit des menschlichen Erkenntnißvermögens, sie heften sich auch an die Gegenstände der Erkenntniß und haben durch deren Bezweiflung die Frage aufgeregt, ob es überhaupt eine sichere Erkenntniß, also eine Wahrheit, geben könne. Wir kommen damit zu dem zweiten Gegensatz: Wahrheit und Schein.

Die erste Anregung zum Denken erhielt der Mensch durch die ihn umgebenden Erscheinungen der Natur. Sich als Wahrnehmenden von dem Wahrgenommenen unterscheidend, begann er allmälig sich nach seinem Verhältniß zur Außenwelt zu fragen und sich Rechenschaft zu geben über die em pfangenen Eindrücke. Doch da diese Eindrücke haften blie-. ben, sich selbstthätig verbanden und allmälig Vorstellungen, Begriffe und Schlüsse erzeugten, ohne daß er sich dieses Prozesses seiner Geistes-Thätigkeit und Entwickelung sofort bewußt wurde, ließ er sich zu dem Irrthum verleiten, die Quelle jener Eindrücke bloß in sich selbst, statt in der Außenwelt zu suchen. Der Baum wuchs, das Thier lief, das Meer wogte, die Sonne schien in seiner Vorstellung, wie früher vor seinen Augen, und regte weitere Vorstellungen an, auch ohne daß er einen wirklichen Baum, ein wirkliches Thier, ein wirkliches Meer, eine wirkliche Sonne noch vor Augen hatte, und so gerieth er auf die Einbildung, daß sein Vorstellungs- und Denfvermögen von vorn herein unabhängig von der wechselnden Außenwelt existire und die wahre Welt enthalte. Er lernte sogar rückwärts operiren, indem er den Wahrnehmer zum Urheber des Wahrgenommenen machte und diese Täuschung im Gottglauben auf die ganze Natur ausdehnte. Das von der Natur empfangene Bild und die allmälig aus den erhaltenen Eindrücken entwickelten Begriffe blieben in ihm fixirt, während die Natur selbst überall und fortwährend wechselte, ja sogar durch Erdrevolutionen die Ahnung einer einstigen vollständigen Auflösnug begründete. So kam er dazu, als das Bleibende und Wirkliche die Gedankenwelt anzunehmen und die sinnliche Welt nicht bloß zum Vergänglichen, sondern auch zum Scheinenden zu

machen. Es wäre nicht minder konsequent, ein photographisches Portrait für die wirkliche Person auszugeben und diese, weil sie in einem Sarg versenkt wird, statt in einem Nahmen auf die Nachwelt zu kommen, als nicht existirend zu betrachten. Die Gedankenwelt des Menschen verhält sich zur Naturwelt gewisser Maßen wie ein Portrait zur Person, Aber Hegel so gut wie Plato macht die Kopie zum Original, macht die im Menschengehirn durch Abstraktion von der Natur gebildete Idee zum allein Seienden und zugleich zur Schöpferinn der Natur, nachdem sie auf diese zurückübertra gen ist als „Gott“ und „absolute Idee". So wird denn das Produkt zum Produzenten und alle natürlichen Folgen bestehender Ursachen verwandeln sich in ideelle Ursachen und Zwecke.

Die ewige Veränderung in der Natur (gegenüber den feststehenden Vorstellungen von derselben) hat schon den alten griechischen Philosophen die größte Noth gemacht. Es gibt kein Sein, sondern nur ein Werden; „Alles fließt“ und ist im nämlichen Augenblick, wo ich es als seiend annehme, schon nicht mehr dasselbe, was es war. Ich kann den Fuß nicht zwei Mal in den nämlichen Fluß seßen. So lauten die Lehren des Heraklit und ähnlich haben, spätere Philosophen geredet. Aber was hat die Veränderlichkeit des Seienden mit dem Sein zu schaffen? Dadurch, daß sich etwas verän dert, beweis't es schon das Sein, denn wie kann es sich verändern, wenn es nicht ist? Wird ein Organismus, so lang er Leben hat, als bestimmter, individueller Organismus aufgehoben durch die beständigen Veränderungen, die in ihm vorgehen? Bin ich morgen weniger Ich, als heute, weil ich morgen vielleicht ein Pfund weniger wiege, oder eine andre

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