網頁圖片
PDF
ePub 版
[ocr errors]

danken, die ich in den vorliegenden Abhandlungen wieder aufnehme: hoffen wir, daß die lange Zwischenzeit ihnen gut getan hat, daß sie reifer, heller, stärker, vollkommener geworden sind! Daß ich aber heute noch an ihnen festhalte, daß sie sich selber inzwischen immer fester aneinander gehalten haben, ja ineinander gewachsen und verwachsen sind, das stärkt in mir die frohe Zuversichtlichkeit, sie möchten von Anfang an in mir nicht einzeln, nicht beliebig, nicht sporadisch entstanden sein, sondern aus einer gemeinsamen Wurzel heraus, aus einem in der Tiefe gebietenden, immer bestimmter redenden, immer Bestimmteres verlangenden Grundwillen der Erkenntnis«<. Schon zwei Jahre früher (1885) hatte Nietzsche sogar daran gedacht, > Menschliches, Allzumenschliches« umzuarbeiten und seinen Inhalt mit der damals fertig gewordenen ersten Fassung des » Jenseits von Gut und Böse« zu verquicken; beide Schriften sollten als ein Buch herausgegeben werden. Noch im jetzt vorliegenden > Jenseits von Gut und Böse« behandeln die ersten Aphorismen dieselben Stoffe wie die ersten Aphorismen des » Menschlichen, Allzumenschlichen<<. Man bleibt also sehr an der Oberfläche und setzt sich mit Nietzsches Auffassung in direkten Widerspruch, wenn man dem »Menschlichen, Allzumenschlichen<< eine weniger wichtige Stellung im Gesamtschaffen des Philosophen anzuweisen versucht.

Nachdem er sich mit diesem Buche und seinen Fortsetzungen >vom Unzugehörigen in seiner Natur frei gemacht, und bald darauf auch die Fessel seines Amtes abgestreift hatte, stürmt Nietzsche rasch und unaufhaltsam zu seiner Höhe empor. Mit der » Unerschrockenheit, ja Zuneigung zu harten und bösen Konsequenzen«<, die bereits der Student an sich beobachtet hatte, wird die gesamte Menschheitsgeschichte kritisch durchforscht nach lebensteigernden und lebensfeindlichen Elementen, unerbittlich wird den letzteren der Krieg erklärt, schonungslos werden die bisherigen moralischen Wertschätzungen der Kulturmenschheit, die platonische, die buddhistische, die christliche samt allen ihren Ausläufern im Bereich der Gesellschafts- und Staatenentwicklung,

6 Die Akademie.

81

der Kunst und der Wissenschaft ihrer lebenschwächenden Tendenzen wegen zur Rechenschaft gezogen, woraus das gründlichste aller Mißverständnisse der Lehren Nietzsches und es gibt deren

viele

die Gleichsetzung seines von ihm selbst so genannten » Immoralismus« mit Unmoral (im landläufigen Sinne) entstanden ist. Nur wenige schöpferische Geister der Vergangenheit waren von einer gleich starken Glut ethischer Leidenschaft beseelt; Einreißen und Forträumen alter, morsch gewordener Kulturbauten ist nur die Vorbereitung zum Aufführen eines neuen, gewaltigen Zentralbaues zukünftiger Menschheitskultur. Große Kulturbewegungen werden vorausgesehen und kühn geschildert, neue Ideale werden als leuchtende Ziele gewiesen, neue Lebensanschauungen, die eine Steigerung tatkräftiger Bejahung des Daseins bedeuten, werden - als Wege zu den hohen Zielen der Zukunft mit glühender Begeisterung dargestellt.

Diesen Gedankenschöpfungen eine geschlossene, von der zerstörenden Kritik der bisherigen Wertschätzung zum Aufbau des Neuen folgerichtig fortschreitende Darstellung zu geben, war Nietzsche nicht mehr vergönnt: mitten in der Arbeit an dieser Darstellung, die den Titel tragen sollte: »Der Wille zur Macht. Ein Versuch der Umwertung aller Werte«, brach seine Gesundheit zusammen. An der Hand der noch von ihm vorgenommenen eingehenden Gliederung des Stoffes und seiner Einordnung des größten Teiles des überreichen Gedankenmaterials in diese Gliederung, ließ sich dieses Fragment gebliebene Hauptwerk jedenfalls in seinen Hauptlinien im Sinne des Verfassers herausgeben. Was hier als scharf umrissene Lehre in klar gegliedertem Aufbau dasteht, hat seine Vorbildung in den früheren Schriften der Zarathustra steht seiner dichterischen Einkleidung wegen ganz für sich- und nicht zuletzt in den zunächst nur für den Verfasser selbst bestimmten kurzen Aufzeichnungen und größeren Ausarbeitungen. Die Entwicklungslinien der einzelnen Schaffenstendenzen und Problemstellungen von ihrem ersten Auftauchen an, über ihre prüfende Betrachtung von den verschiedensten Seiten her, bis zu der ganz bestimmten und klar formulierten Stellungnahme des seiner selbst

sicher gewordenen Genies zu verfolgen, wird durch die in der neuen Ausgabe eingehaltene zeitliche Einordnung und ihre Reichhaltigkeit außerordentlich erleichtert. Die jedem Band beigegebenen ausführlichen Nachberichte, die alles biographisch Wichtige über die Entstehung der Werke, sowie das Wesentliche über die Bedeutung im Gesamtschaffen Nietzsches und ihre zeitgenössische Wirkung enthalten, ziehen das so wichtige und aufschlußreiche, noch viel zu wenig beachtete Briefmaterial im weitesten Umfang heran.

>Alles war Eins und wollte Eins« in Nietzsches Werk (wie er es selbst einmal in einem Brief an Peter Gast aus der letzten Schaffenszeit ausspricht), von der Stunde, da der Genius die Schwingen zu regen begann, bis zu dem unvermittelten Sturz aus kaum vorstellbarer Höhe und Vereinsamung. Zeitweise treten bestimmte Seiten seiner vielfältigen Natur in besonders scharfer Prägung hervor; es hat »Gesamtabirrungen des Instinktes« gegeben auf seinem Wege, mit einzelnen Fehlgriffen, wie er es in Ecce homo mit Bezug auf seine Philologenexistenz und Wagner beschreibt, aber niemals eine Umkehr. Die Entwicklungslinie seines Schaffens zeigt Schwankungen und Ausbuchtungen, aber nirgends einen Bruch.

Über das Gesamtwerk verteilt und oft eingestreut in das Allgemeine stehen zahlreiche Zeugnisse Nietzsches über sich selbst. Von frühester Jugend an hatte er sich daran gewöhnt, von Zeit zu Zeit halt zu machen in um- und rückschauenden Selbstbetrachtungen und Selbstbeschreibungen. Sie werden - vermehrt durch bisher nicht veröffentlichte Zeugnisse und eine Reihe Briefstellenin einem besonderen Bande der neuen Ausgabe vereinigt werden. Besonders in späterer Zeit sich über den Zufallscharakter persönlicher Besonderheiten weit erhebend, lassen diese typischen Erlebnisse des schaffenden Menschen, diese Zeugnisse des sich seiner selbst bewußt werdenden Schöpfergeistes, Blicke von einer bis dahin beispiellosen Tiefe in die Werkstatt des Genies tun. Mit den Beschreibungen »Wie man wird, was man ist rundet Nietzsche sein Werk zur völlig geschlossenen Einheit.

DESCARTES UND AUGUSTIN

ZUR UNTERSCHEIDUNG VON THEORETISCHER
UND RELIGIÖSER »GEWISSHEIT«

von

AUGUST FAUST, HEIDELBERG

Sch

chon den Zeitgenossen des Descartes ist eine Verwandtschaft seiner Philosophie mit gewissen Lehren Augustins aufgefallen. Vor allem glaubte man, in dem Cartesianischen Satz von der Selbstgewißheit des Bewußtseins, im »Cogito, ergo sum«<, einen Augustinischen Gedanken wiederfinden zu können. Descartes selbst leugnete nie, daß einige seiner Formulierungen mit einzelnen Sätzen aus Augustin übereinstimmen. Er freute sich darüber, eine so anerkannte Autorität auf seiner Seite zu haben1). Aber er betonte stets, daß diese Einzelheiten bei ihm in einem anderen Zusammenhang stehen, daß er einen anderen » Gebrauch< von ihnen macht und ihnen eine ganz neuartige Bedeutung für den systematischen Aufbau der Philosophie beimißt3). Von der Geschichtschreibung ist das nicht immer genügend berücksichtigt worden. Man glaubte, Augustin aus Descartes oder Descartes aus Augustin interpretieren zu dürfen. Augustin wurde wohl gar zum ersten Denker der modernen Welt gemacht. Nur die objektive Gewalt der Kirche und seine rege Anteilnahme an den Kämpfen um die christliche Dogmenbildung hätten ihn daran verhindert, ein philosophisch geschlossenes System zu errichten und die Selbstbesinnung des Geistes zur erkenntnistheoretischen Grundlage aller und jeder Gewißheit zu machen. So erschien er lediglich als » Glied

1) Œuvres publiés par Adam et Tannery, z. B. IV, 113.

2) Œuvres I, 376; III, 247/48.

in dem so langsamen und schweren geschichtlichen Fortgang von der objektiven Metaphysik zu der Erkenntnistheorie«3).

Auch dem Cartesianismus wurde oftmals sein Abbiegen von der reinen Erkenntniskritik zur Ontologie als eine Inkonsequenzvorgeworfen; neuerdings aber macht sich namentlich unter französischen Gelehrten eine Reaktion geltend gegen diese, gewiß einseitig am modernen Kantianismus orientierte Auffassung. Man sieht jetzt in Descartes vor allem den religiösen und erst in zweiter Linie den theoretischen Menschen). Dann ist es nicht mehr unmöglich, ihn in engsten Zusammenhang mit der mittelalterlichen Philosophie zu bringen und ihm seinen »natürlichen Platz in der Strömung der neuplatonisch-christlichen Gedankenwelt<< anzuweisen 5).

Auch das scheint mir jedoch eine einseitige Auffassung zu sein. Gerade dort, wo eine Übereinstimmung zwischen Descartes und Augustin scheinbar am auffälligsten hervortritt, läßt sich die Grundverschiedenheit beider aufzeigen. Die Lebensgewißheit der Seele steht bei Augustin in einem genuin religiösen, die Selbstevidenz des Bewußtseins dagegen bei Descartes in einem rein spekulativ-philosophischen Zusammenhang. Nur wenn man das berücksichtigt, läßt sich der ursprüngliche Sinn der Sätze Augustins verstehen, trotzdem sie oft sogar im Wortlaut an Cartesianische Formulierungen anklingen. Nur dann wird es deutlich, daß hier zwei ganz verschiedene Probleme behandelt werden: Im einen Fall handelt es sich um religiöse, im anderen um theoretische » Gewißheit«.

Für Augustin kam es darauf an, die Selbstsicherheit des gläubigen Herzens zu schützen gegen Angriffe der akademischen

3) W. Dilthey: Einleitung in die Geisteswissenschaften (Gesammelte Schriften I, 1922), S. 265 (vgl. Anhang).

") G. Milhaud: Une crise mystique chez Descartes en 1619 (Revue de Métaphysique et de Morale XXIII, 1916). A. Espinas: L'idée initiale de la philosophie de Descartes (Rev. de Mét. XXIV, 1917, besonders S. 277/78).

*) A. Koyré: Descartes und die Scholastik, Bonn 1923, S. 159 (vgl. Anhang).

« 上一頁繼續 »