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Nutzen der Religion für die Regierung

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keine Frucht, weil ihre Urheber die Wahrheit verkannten, daß der Menschengeist unaufhörlich seine religiösen und sittlichen Ideen umwandelt, und nicht begriffen, daß der befreite Geist notwendig jetzt noch schneller als vorher sich in der Fortschrittsströmung zu einer vollkommeneren Klarheit befand, welche ihn nötigen mußte, gleich von neuem jede dogmatisch fixierte und begrenzte Form zu zerbrechen. Aber nun, weil die von innen gewählte Form sich als unhaltbar gezeigt, wieder die noch viel unhaltbareren alten erstarrten Traditionsformen aufnehmen zu wollen, das war sicherlich bessere Politik als Logik. Es blieb also nichts anderes übrig, als sich auf den unmittelbaren Nutzen zu berufen, welcher sich daraus ziehen ließe. Aber und abermals kommt daher Portalis darauf zurück, nicht, daß die Religion wahr, sondern daß sie nützlich, notwendig sei, daß man ohne sie nicht regieren könne, daß die Moral ohne religiöse Dogmen,,wie eine Justiz ohne Gerichte" sein würde. Es ist wahr, daß das Dogma vom ewigen Höllenfeuer, solange dasselbe Glauben findet, ein kräftiges Werkzeug in der Hand des Herrschenden ist. Ja, Portalis ist offen genug, mit dürren Worten zu sagen: „Die Frage nach der Wahrheit oder Falschheit dieser oder jener positiven Religion ist nur ein rein theologisches Problem, das uns fremd ist. Die Religionen haben, selbst wenn sie falsch sind, wenigstens den Vorteil, der Einführung willkürlicher Lehren eine Schranke zu setzen. Die Individuen haben in ihr ein Glaubenszentrum, die Regierungen sind beruhigt hinsichtlich der einmal bekannten Dogmen, die sich nicht verändern. Der Aberglaube ist, sozusagen, regularisiert, eingezäunt und in Schranken gebannt, die er weder zu überschreiten vermag, noch wagt1).“

Mit feiner Zweizüngigkeit suchte Bonaparte die Restauration den verschiedenen Parteien in verschiedenem Lichte darzustellen. Den Katholiken wurde sie als eine Tat geschildert, mit welcher sich nur Konstantins und Karls des Großen Verdienste um die Kirche vergleichen ließen; den Philosophen als ein Akt, durch welchen die Kirche vollständig dem Staate, den weltlichen Behörden unterworfen würde. ,,Es ist eine Schutzpocke gegen die Religion", sagte Napoleon zu dem Philosophen Cabanis: „,in fünfzig Jahren wird es in Frankreich keine Religion mehr geben". Soviel ist ausgemacht, daß er nicht daran gezweifelt hat, durch die Versöhnung zwischen Kirche und Staat sich einen gehorsamen und untergebenen Bundesgenossen zu sichern. In welchem Grade er sich hierin täuschte, ist bekannt. Bitterlich mußte er bald selbst bereuen, daß er sich mit den niedrigsten und unwissendsten Elementen im Volke wider die edelsten und besten verbündet hatte. De Pradt erzählt, er habe Napoleon einmal über das andere wiederholen hören, daß,,das Konkordat der größte Fehler seiner Regierung sei". Ein politischer Fehler war es kaum. Aber es war auf jeden Fall

1) La superstition est pour ainsi dire régularisée, circonscrite et resserrée dans des bornes qu'elle ne peut ou qu'elle n'ose franchir.

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Die geistigen Erfolge der Revolution

der erste und entscheidende Bruch mit dem Geiste der Revolution. Es sicherte dieser gewisse ihrer weltlichen Erfolge, aber es sicherte sie auf Kosten der fortschrittlichen Kultur Frankreichs 1).

III

Bonaparte, der darauf ausging, der Republik den Todesstoß zu versetzen, mußte sie ins Herz treffen. Er sah ein, daß es ihm niemals glücken würde, die bürgerliche Freiheit in ausreichendem Maße zu brechen, wenn er nicht zuvor das während der Revolution immer mächtiger gewordene Streben nach geistiger Freiheit gebrochen hätte. Das Konkordat bahnte dem gesamten kirchlichen Wesen den Weg zur Wiedereroberung seiner alten Macht.

Für die Zeitgenossen sah es so aus, als müßten all die ungeheuren Anstrengungen nun als vergeudet betrachtet werden. Wenn man bedenkt, was zu vollbringen gelungen war, so muß man erstaunen. Eine Emanzipations bewegung, die während der Renaissancezeit mit der warmen Begeisterung für das klassische Altertum begonnen, die in England durch Newtons Genie eine neue Anschauung von der äußeren Welt zur Grundlage erhalten und allmählich die Naturwissenschaften erobert, die eine neue Philosophie als ihr Produkt und die Freimaurerei als ihr Zeugnis hinterlassen hatte, war wie ein sprühender Funke durch Voltaires Geist nach Frankreich gebracht worden. Hier war dann das Wunder geschehen, daß, wenige Jahrzehnte nachdem Corneille seinen Polyeucte und Racine seine Athalie gedichtet, wenige Jahre nachdem Bossuet den absoluten Gehorsam gepredigt und Pascal mit Feuerbuchstaben das Bekenntnis seines Glaubens an die absolute Absurdität aufgezeichnet hatte, unter dem unbestrittensten Absolutismus eine Handvoll Männer, meist landflüchtig oder verfolgt, es vermocht hatte, erst die höheren Stände, die Elite der Nation, dann Prinzen und Prinzessinnen, die bald Könige und Kaiserinnen wurden, endlich den ganzen Mittelstand zu gewinnen, so daß die neue Wahrheit, welche in Niedrigkeit geboren, aber welcher schon in der Wiege von mächtigen Königen, von Preußens Friedrich, von Österreichs Joseph und Rußlands Katharina, gehuldigt wurde, bald das ganze inzwischen herangewachsene Geschlecht beherrschte, ja sich Anhänger unter Äbten und Priestern gewann.

Mit athletischer Kraft hatte sich der menschliche Gedanke in seiner Freiheit erhoben. Alles, was bestand, mußte sein Existenzrecht beweisen. Man forschte nach Ursachen, wo man früher um ein Mirakel

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1) Thiers: Histoire du Consulat. Lanfrey: Histoire de Napoléon I. Mignet: Histoire de la Révolution, Tome II. De Pradt: Histoire des quatre concordats. Portalis: Discours et rapports sur le concordat. Lorenz von Stein: Geschichte der sozialen Bewegung in Frankreich, I. Taine: Le régime moderne, I.

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Die katholische Kirche wird eine politische Partei 49

gebetet. Man fand ein Gesetz, wo man früher an ein Wunder geglaubt hatte. Niemals zuvor war solchermaßen in der Welt gezweifelt, gearbeitet, untersucht und aufgeklärt worden. Man besaß nicht die Waffe der Macht, sondern die Waffe des Spottes, und mit Hohn und Spott griff man daher zuerst an. Man zerstörte durch Gelächter. Auf Voltaires raffinierten Hohn folgte dann Rousseaus plebejischer Zorn. Niemals zuvor war noch in der Welt solchermaßen gespottet, unterwühlt und deklamiert worden. Der menschliche Gedanke, welcher Jahrhunderte hindurch auf allen Gebieten wie ein Leibeigner hatte frohnen müssen, welchen man mit Legenden berauscht und mit geistlichen Liedern und Redensarten in Schlaf gelullt hatte, vernahm gleichsam den Morgenschrei des Hahnes und sprang völlig erwacht empor. Und jetzt sollte alles, was die Heroen des Geistes gedacht und wofür seine Märtyrer gelitten hatten, wie unnützes und unbrauchbares Gerümpel beiseite gekehrt werden können! Wofür so viele der edelsten Herzen geschlagen, was ihnen Mut auf dem Schlachtfelde und auf dem Schafotte eingehaucht hatte, all diese Begeisterung sollte jetzt wieder, wie der Geist in dem Märchen, in einen eisernen Schrein zusammengepreßt, und dieser Schrein mit dem gemeinsamen Siegel eines Kaisers und eines Papstes verschlossen werden können!

Vorläufig wurde die Freiheits bewegung zum Stehen gebracht. Wieder wurde es nicht gern gesehen, wenn man keinen kirchlichen Glauben bekannte, und nach dem Sturze Napoleons wurde es gefährlich. Von seiten der Herrschenden wird in religiösen Angelegenheiten ja niemals der Kampf mit Gründen wider Gründe geführt. Man beantwortete die Argumente der Gegner nicht mit Argumenten, sondern nahm ihnen Suppe und Braten. Die Mehrzahl der Männer, die sich ohne Vermögen auf die Beamtenlaufbahn vorbereitet hatten, und die eine unwiderstehliche Lust, jeden Tag gut zu frühstücken und zu Mittag zu speisen, nicht zu überwinden vermochten, waren geborene oder gewonnene, jedenfalls aber durchaus zuverlässige Stützen für die Restauration der Kirche. Niemand, der über 25 Jahre alt ist, wird sich darüber wundern, wie viele Anhänger die Orthodoxie von dem Augenblicke an erhielt, wo sie aus einer Lächerlichkeit zu einer Versorgung ward.

Füge man hierzu die große Partei der Furcht, alle diejenigen hinzu, welche in Angst vor der roten Republik lebten, und welche in der Wiederaufrichtung der Religion zuerst und vor allem ein Bollwerk gegen dieses Schreckbild sahen. Aus ihnen rekrutierte das Heer des Autoritätsprinzips sich am allerstärksten. Die Katholiken wurden plötzlich aus einer kirchlichen Gemeinschaft zu einer politischen Partei.

Ein Umschlag der Zustände wird immer vorbereitet durch einen Umschlag der Stimmung und ruft noch gewisse Stimmungen hervor, welche dem neuen Zustande entsprechen. Die Stimmungen und Ideen, welche das Konkordat vorbereiteten, erhielten durch den Abschluß Brandes, Hauptströmungen II

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Die Literatur stützt das Autoritätsprinzip

desselben volle Freiheit, zu Worte zu gelangen; andere gleichartige waren eine Folge davon, und als diese Stimmungen und Ideen sich jetzt in der Literatur äußerten, entstand eine geistige Bewegung, welche dem Konkordat entspricht und dasselbe, sozusagen, in die Sprache der Literatur übersetzt. Dieser literarischen Bewegung wollen wir folgen. Die Psychologie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die ich in diesen Studien zu geben versuche, würde sonst eine fühlbare Lücke aufweisen. Mag der Stoff nicht sehr lohnend, nicht sehr einladend oder reichhaltig sein, er hat von unserem Gesichtspunkte aus trotzdem seinen großen Wert und seine große Bedeutung. Wäre diese literarische Bewegung von der Landbevölkerung ausgegangen, würde sie vielleicht etwas Naives und Rührendes gehabt haben; und wäre sie von der in Leiden geprüften Geistlichkeit ausgegangen, so hätte sie vielleicht durch Innigkeit und Gefühl Aufmerksamkeit erweckt; wäre sie endlich von denen ausgegangen, welche nach dem Beispiel des Alleinherrschers aus weltlichen Rücksichten sich der Kirche anschlossen, so hätte sie das Gepräge der Ideenlosigkeit getragen. Aber nichts von all diesem ist der Fall. Alle jene Gruppen bildeten das Publikum der neuen Literatur, gaben ihren Resonanzboden und ihr Echo ab, aber keine von ihnen war produktiv. Die neukatholische Richtung in der Literatur war eine Richtung ohne Naivität und ohne Gefühlsinnigkeit. Aber sie war nicht ideenlos. Mit großer Sicherheit und Entschlossenheit bringt sie die Idee, welche die Revolution unbedingt verworfen hatte, die Autoritätsidee, wieder zur Geltung. Die Führer sind viel mehr politische als religiöse Geister, sie wollen nicht so sehr Idie Seelen wie die Tradition retten. Man verlangt in ihrem Kreise die Religion als Mittel wider die Anarchie. Man beruft sich so hartnäckig auf die Autorität, weil man an allem anderen als an äußerer Autorität bankerott ist.

Die literarische Bewegung geht von verschiedenen Punkten aus, und von den Männern, welche sie einleiten, kennt anfänglich keiner den andern. Während der Revolution schweift z. B. Chateaubriand in Amerika umher, de Maistre wohnt in der Schweiz und Bonald entwirft seine erste Schrift in Heidelberg. Sobald die geistige Reaktion beginnt, kehren die Emigranten heim, und die Autoritätsidee wird in der Literatur von Männern zur Geltung gebracht, die zum Teil fremde und unabhängige Persönlichkeiten wie Maistre sind, zum Teil auch Männer wie Chateaubriand und Bonald, die Napoleons Übernahme der Herrschaft nach Frankreich zurückberuft. Diese schließen sich ihm als dem Restaurator der Kirche vorläufig an, aber nur um kurz darauf, entweder schon unter seiner Regierung oder nach seinem Falle, sich mit weit größerer Wärme und weit mehr Überzeugung den Bourbonen anzuschließen, zu welchen ihr eigenes Prinzip sie mit aller Macht der Konsequenz hinzieht. Napoleons Plan, durch das Konkordat die Kirche für sich zu gewinnen und den Bourbonen die Sympathie der Geistlichkeit zu entziehen, schlug ihm vollständig fehl und mußte

Die Träger der neuen Bewegung

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fehlschlagen. Bald kam es zum offenen Kriege zwischen dem Papste und ihm, und bald zeigt die literarische Bewegung, deren Entstehen mit dem Konkordate zusammenfällt, sich als offenbar bourbonisch und legitimistisch.

Ihre ersten Urheber fühlen sich naturgemäß zueinander hingezogen, machen Bekanntschaft miteinander und stiften bald eine förmliche Schule. Sie haben verschiedene wichtige gemeinsame Charakterzüge, welche man auch selbst bei den spätesten Anhängern der Schule, wie Lamennais, de Vigny, Lamartine und Hugo findet. Sie sind alle ohne Ausnahme Adlige und durch persönliche Bande an die legitime Dynastie geknüpft. De Maistre war Gesandter des Königs von Sardinien in Rußland. Bonald hatte als Jüngling zu den Musketieren Ludwigs XV. gehört und war in den letzten Tagen des Königs derjenige gewesen, welcher täglich an das Bett des Königs kam, um das Feldgeschrei zu erfahren. Er hatte nämlich selbst die Pocken gehabt und stand daher nicht so sehr in Gefahr, angesteckt zu werden. Das erste mal, als er nach dem Tode Ludwigs XV. erschien, um sich das Feldgeschrei vom neuen König auszubitten, warf Marie Antoinette ihm einen wohlwollenden Blick zu und richtete einige Worte an ihn. Jener letzte Blick eines sterbenden Königs, der eine fast vernichtete Monarchie hinterließ, und dieser erste Blick einer jungen, schönen und hoffnungsvollen Königin, die so großen Leiden entgegenging, schwand niemals aus Bonalds Erinnerung. Diese Blicke wurden Leitsterne für sein Leben. Was Chateaubriand anbelangt, so reichte er als Gesandtschaftssekretär Napoleon in dem Augenblick sein Entlassungsgesuch ein, als er den Justizmord an dem Herzog von Enghien erfuhr, und übernahm von da an die Rolle, welche er bis 1824 beibehielt: der treue Diener der Bourbonen zu sein; diese Rolle, die ihm durch die Umstände aufgezwungen war, spielte er so ernsthaft, daß er sie mit jeder Vollkommenheit zur Darstellung brachte. Was die folgende Generation betrifft, so hat Lamartine in der Vorrede zu seinen Meditationen und in seinen Erinnerungen erzählt, wie er als junger Gardeoffizier neben dem Wagen Ludwigs XVIII. galoppierte, wenn dieser von Paris nach St. Germain fuhr. Alfred de Vigny war von Kindheit an eifriger Royalist; sein Vater gab ihm unter dem Kaisertum das Kreuz des St. Ludwigsordens zu küssen. Aus Vasallentreue wurde er königlicher Offizier. Aus Stolz bewahrte er diese Haltung, selbst als alle seine Hoffnungen auf die Erbmonarchie gebrochen und einer unausgesprochenen Verachtung nach allen Seiten gewichen waren, und nach der Revolution von 1830 wurde er der vorurteilsfreie, aber wortkarge und verschlossene Konservative, als welchen seine späteren Schriften ihn zeigen1). Victor Hugo endlich hat oft genug geschildert, einen wie großen Einfluß royalistische Kindheitseindrücke und besonders die Einwirkung seiner

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1) Vgl. Stuart Mills Abhandlung über de Vigny in Dissertations and discussions, I.

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