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Überall Nationalitätsschwärmerei

In Deutschland führte, wie wir schon gesehen haben, die Nationalitätsschwärmerei zur Begeisterung für die deutsche Vergangenheit, für das Mittelalter, seinen Glauben, seinen Aberglauben und seine Gesellschaftsordnung. In Italien findet mit Manzonis Hymnen eine anscheinende Rückkehr zum Katholizismus statt. Die dogmatische und asketische Religion macht sich hier geltend als Poesie und Moral; sie wird aus einem Glauben zu einem künstlerischen Motive. Manzonis religiöse Begeisterung ist dieselbe Schwärmerei, die den Papst nach Rom zurückgeleitete und Alexander I. die Idee der heiligen Allianz eingab. In Frankreich, das, obschon es selbst Napoleon großgesäugt hatte, vom Zeitgeist gezwungen eine ähnliche Bahn wie Deutschland betrat, wandte die literarische Bewegung sich gegen die Akademie, gegen die sogenannte klassische, d. h. abstrakt kosmopolitische Literatur, und man ging hinter dem Zeitalter Ludwigs XIV. zu den Dichtern des sechzehnten Jahrhunderts zu Du Bellay und Ronsard, ja zu den armen grotesken Poeten zurück, die Boileau verhöhnt und verdrängt hatte. (Victor Hugos Angriff gegen die Auffassung der Vergangenheit, Sainte-Beuves erste literarhistorische Schriften, Téophile Gautiers Les grotesques.) In Dänemark folgten die Geister beim Beginn des Jahrhunderts in der Hauptsache der deutschen Strömung. Man opponierte gegen die französische Kultur. Oehlenschlägers Gedicht Die Büste in der Reise nach Langeland deutet den Charakter der neuen Bewegung an. Der Dichter hält zuerst die Büste, die er in dem fremden Zimmer findet, für diejenige Voltaires und spricht:

Wir sind nicht von derselben Schule,
Einer von uns muß weichen hier.

Dann entdeckt er, daß er vor Ewalds Büste steht, und macht in be-
geisterten Worten seinem Dank gegen den Dichter Luft.
Eine sorg-
fältige Untersuchung der Hamadryade von Hauch führt zu dem gleichen
Resultat, daß die neue Schule den Kampf mit der französischen Geistes-
richtung, besonders wie diese sich durch die deutsche Brille ausnahm,
begann. Außerdem brachte Steffens die deutsche Kulturströmung
mit nach dem Norden. Allein in dem zweiten, ebenso bedeutsamen
Stadium der Bewegung gestaltet sich die Polemik gegen Frankreich
zu einer Polemik gegen das Fremde überhaupt, insbesondere gegen
Deutschland, das in Dänemark so lange die Rolle des Unterdrückers
gespielt hatte, und durch eine seltsame, aber naturgemäße Konsequenz
führte gerade die Rückkehr zum Volkstümlichen, der man sich nach
dem Beispiele Deutschlands ergab, immer weiter von Deutschland fort.

In England finden wir dieselben Grundzüge, welche die Bewegung in allen anderen Ländern bezeichnen. Man schüttelte die französische Bildung ab, die im 18. Jahrhundert die höheren Gesellschaftsklassen beherrscht hatte. Der letzte Dichter der klassischen Richtung, Pope, sollte den Augen des jüngeren Geschlechts bald nicht mehr als Meister erscheinen. Man zauste den kleinen Mann an seiner zierlichen Perücke

Gegenseitige Beeinflussung

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und trat ihm in die wohlgeordneten Beete seines Gartens. Und jetzt zeigte sich's, welch eine mächtige Reserve der britische Volksgeist in den frischeren, von der Kultur nicht erschöpften Königreichen besaß, die abseits vom Mittelpunkte des politischen Lebens lagen. Irland, das im 18. Jahrhundert einen Denker wie Swift und einen Schriftsteller wie Goldsmith hervorgebracht hatte, besaß einen Schatz herrlicher Melodien, die, sobald ein großer lyrischer Dichter ihnen Worte lieh, von allen singenden Lippen Europas erklangen. Die Waliser sammelten und veröffentlichten ihre alten Dichtungen, und in Schottland, dessen untere Gesellschaftsschichten noch nicht von der gedrückten Lebensweise der englischen Fabrikarbeiter erfaßt worden waren, und dessen auf ihre Vergangenheit und ihre Heimat stolze Bewohner an ihren Volksliedern, ihrem Aberglauben und ihrem politischen Sondergeiste festhielten, tauchte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts Macphersons Ossian als ein Protest wider alle verstandeskalte und regelrechte Kunstdichtung auf. Der Einfluß desselben war ebenso groß auf Alfieri und Foscolo in Italien, wie auf Herder und Goethe in Deutschland und auf Chateaubriand in Frankreich. Dann folgt in England Percys Sammlung der englischen Volkslieder und in Schottland Walter Scotts Sammlung altschottischer Balladen.

Aber zwischen diesen beiden liegt eine jener literarischen Strömungen von Land zu Land und wieder zurück, welche nachzuweisen unser Hauptaugenmerk ist, und welche hier auf schlagende Weise hervortritt. Auf einem Dorfe bei Göttingen saß, kurz nachdem die Percysche Sammlung erschienen war, ein armer kleiner Gerichtsbeamter in drückendsten Verhältnissen, lebte noch dazu in einer verzweifelten, demoralisierenden Doppelehe mit zwei Schwestern; ihm fällt dies Buch eines Tages in die Hände. Es macht einen solchen Eindruck auf Bürger, daß es eine Revolution in seinem Gemüte hervorruft und ihm die Lust erweckt, etwas zu schreiben, das lange aus der guten Kunstdichtung verbannt gewesen war, das er aber Baggesen gegenüber (siehe dessen Labyrinth) als die eigentliche,,Poesie" bezeichnete: eine Ballade. So beginnt er denn seine berühmte,,Leonore", sie langsam Woche für Woche ausarbeitend, und mit so fester Überzeugung von der Wichtigkeit des Schrittes, den er unternimmt, daß seine Briefe an seine Freunde von dem stärksten Selbstgefühl überströmen. Die Ballade erscheint und macht bald die Runde durch ganz Europa. Im Jahre 1795 macht eine junge Dame in Edinburg einen anderen Gerichts beamten mit derselben bekannt, und dieser junge Jurist, Walter Scott genannt, in dem gleichfalls ein Dichter, und ein viel größerer, steckte, debütierte in der Poesie mit einer Übersetzung der Ballade und einer zweiten: Der wilde Jäger. Als diese Übersetzungen mit Beifall aufgenommen wurden, begann er sich für einen Dichter zu halten. Und auf der Grundlage dieser Übersetzungen und der Übersetzung des Gölz ron Berlichingen, welche Scott 1799 erscheinen ließ, erhob sich die nationale schottische Romantik in seinen Dichtungen.

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Fremde Züge in der englischen Literatur

Hier begegnet uns also ursprünglich in dieser Literatur ein Hauch der gemeinsamen europäischen Reaktion wider das 18. Jahrhundert. Wir finden das lebendige Nationalgefühl, das den Kosmopolitismus ablöst, in England bei Words worth in Gestalt eines poetisch beschreibenden Patriotismus und bei Southey als ganz oder halb offizielle Verherrlichung des Königshauses und der nationalen Großtaten, während Scott und Moore gleichsam als dichterische Inkarnationen der beiden anderen Königreiche erscheinen. Das allgemeine Zurückstreben zum Volkstümlichen wird in erster Linie durch Words worth repräsentiert, der besonders das Leben der unteren und untersten Klassen darstellt, die Vorliebe für das Mittelalter zuerst und vor allem durch Scott, welcher die Vorliebe eines Forschers für die Denkmäler der Vorzeit mit der Lust eines Torypolitikers verbindet, das von alters her Ererbte in der anziehendsten Beleuchtung zu schildern. Die Romantik des eigentlichen Aberglaubens findet ihren Dichter in Coleridge, dessen absichtliche Naivität und Schlichtheit nahe Verwandtschaft mit der Tieckschen zeigt, und Coleridge erhebt auch als Repräsentant der damaligen deutschen Philosophie einen abstrakt wissenschaftlichen Protest wider die Aufklärungsperiode. Seine Lehre ist durchaus unenglisch, rein aprioristisch, im Gegensatze zu dem experimentalen Charakter der englischen Wissenschaft, sie ist konservativ, religiös und historisch, weil die frühere Philosophie radikal, ungläubig und metaphysisch gewesen war; es ist ein Schellingianismus, der im Anfang so viele Resultate des vorigen Jahrhunderts wie möglich zu bewahren sucht, der aber immer hartnäckiger und bornierter zu dem entgegengesetzten Extrem hineilt, an welchem man im vorigen Zeitraume gescheitert war. Als Repräsentant der verworren phantastischen Richtung erscheint Southey mit seinen orientalischen Epopöen, und was endlich die zerrissenen und leidenschaftlichen Helden betrifft, so treten sie in wilderer und männlicherer Gestalt bei Byron hervor, während Shelleys Geisterglaube und sein Auflösen aller festen Formen in ätherische Musik an die Innigkeit und Verschwommenheit bei Novalis gemahnt.

II

Allein diese gemeinschaftlichen und breitesten Grundzüge des Zeitalters werden auf eine sehr merkliche Weise durch eine Reihe speziell englischer Züge modifiziert, die, ohne anderwärts vorzukommen, sich bei den einander sonst unähnlichen Geistern wiederfinden, welche diese Periode der englischen Literatur aufzuweisen hat.

Diese Züge lassen sich sämtlich auf einen Grundzug zurückführen: den kräftigen Naturalismus. Wir sahen, daß die erste Bewegung war, daß die Schriftsteller national wurden. Aber national werden hieß in England Naturalist werden, wie es in Deutschland Romantiker,

Naturalismus in verschiedener Form

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in Dänemark altnordisch werden hieß. Diese englischen Schriftsteller pflegen, studieren, verehren alle ohne Ausnahme die Natur mit andächtigstem Sinne. Wordsworth, der es liebt, seine Passionen als Ideen zur Schau zu tragen, flaggt förmlich mit dem Worte,,Natur" und stellt in grandiosen Bildern, aber mit kleinlicher Sorgfalt, Berge, Seen und Flüsse, Bauern und Volk von Nordengland dar. Scotts Naturschilderungen sind auf Grundlage zahlreicher an Ort und Stelle gemachter Notizen ausgeführt und sind so getreu, daß ein Botaniker die Vegetation des Ortes durch sie kennenlernen könnte. Keats ist bei all seiner Schwärmerei für die Antike und die griechische Mythologie ein mit den schärfsten Sinnen und der feinsten universellen Sinnlichkeit ausgestatteter Sensualist, der alle Abarten von Farbenpracht und Vogelgesang und Seidenweichheit und Traubensaft und Blumenduft, die die Natur umfaßt, sieht, hört, fühlt, schmeckt und einatmet. Moore ist lauter vergeistigte Sinnlichkeit. Der verwöhnte und verwöhnende Dichter scheint von allen schönsten und gewähltesten Eigentümlichkeiten der Natur umringt zu leben. Er blendet unsern Geist mit Sonnenglanz, betäubt ihn mit Nachtigallmelodien und ertränkt ihn mit Süßigkeit. Wir leben mit ihm in einer beständigen Vision von Schwingen, Blumen, Regenbogen, Lächeln, Erröten, Erglühen, Tränen, Küssen und abermals Küssen. Naturalismus ist die wirklich zutiefst liegende Tendenz in Werken wie Byrons Don Juan und Shelleys Die Cenci. Mit anderen Worten, auf englischem Grund und Boden ist der Naturalismus so stark, daß er den romantischen Supranaturalismus bei Coleridge nicht minder als den hochkirchlichen Offenbarungsglauben bei Wordsworth, den atheistischen Spiritismus bei Shelley, den revolutionären Liberalismus bei Byron und das historische Interesse bei Scott durchdringt. Bei sämtlichen Dichtern beherrscht er ihren persönlichen Glauben und ihre poetische Richtung.

Dieser kräftige, strotzend gesättigte Realismus beruht auf verschiedenen stark ausgeprägten englischen Eigenschaften. Das sind erstens die Liebe für Land und Meer. Fast alle in dieser Periode auftretenden englischen Dichter sind entweder Landleute oder Seemänner. Die englische Muse war schon von jeher eine Freundin des Herrensitzes und Pachthofes. Words worths echt englische Poesie entspricht genau den bekannten Gemälden und Kupferstichen, welche das englische Landleben mit einem Gepräge von Gesundheit und Ruhe des Gleichgewichts schildern, hie und da mit einem evangelischen Schimmer über der Szene, wenn das väterliche Walten des Dorfpredigers oder der erbauliche Charakter der Hausandacht dargestellt wird. Burns, der Sänger hinterm Pfluge, Schottlands größter dichterischer Genius, widmete frühzeitig die schottische Dichtung dem Lande, und es liegt Wahrheit in Emersons beißendem Ausspruch, daß Scott in all seinen Epopöen nur ein gereimtes Reise handbuch von Schottland schrieb. Daß schon seine Zeitgenossen diesen Eindruck hatten, sieht man aus Moores satirischen Scherzen darüber, wie Scott in seinen Gedichten

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Dichter als Grundbesitzer

einen Herrensitz nach dem anderen ,,erledigt"). Und welche Rolle spielen diese Herrensitze im Leben zweier so polarisch entgegengesetzter Dichternaturen wie Byron und Scott! Der Name von Newstead Abbey ist untrennbar mit dem Namen Byrons verknüpft, wie der Name von Abbotsford mit dem Walter Scotts. Die alte Abtei mit ihrer mittelalterlichen und phantasievollen Architektur ist für Byron die notwendige Folie seines Pairs titels und das Unterpfand seines Rechtes auf eine Heimstätte in England. Er veräußert sie erst, als er seinem Vaterlande für immer Lebewohl gesagt hat. Walter Scotts Besitzung ist freilich nicht so alt und ehrwürdig; aber er kauft sich Abbotsford, als der Wunsch nach einem Grundbesitz, der immer mächtig in ihm gewesen ist, unwiderstehlich wird, und er richtet sich in der glücklichen Periode seines Lebens, die er dort verbringt, so ein, als wäre er nie mit einer anderen Aussicht vor Augen herangewachsen, als mit der, die königliche Gastfreiheit eines alten schottischen Gutsbesitzers zu erweisen und dessen keckes Leben in freier Luft zu leben. Seine größte Lust ist das halsbrecherische Vergnügen, durch reißende Ströme zu waten, selbst wenn er bei einem Umweg von fünfzig Schritten hätte über eine Brücke gehen können, ein so wildes Pferd zu reiten, daß kein anderer es bändigen kann, und mit dem Speere bei Fackelschein Lachse zu stechen, bald vom Regen durchweicht, bald steifgefroren in der Kälte der Nacht. Welcher Kenner von Byrons Leben denkt hier nicht an seine Vorliebe für wilde Parforceritte und waghalsige Schwimmversuche !

Nichts desto weniger liegt in dem Verhältnis der beiden Dichter zu ihrem Grundeigentum ein Gegensatz, der ihre verschiedenen Naturen charakterisiert. Byrons Vorliebe für Newstead war in seinen aristokratischen Neigungen, Scotts Vorliebe für Abbotsford in seinen historischen Instinkten begründet. Wie Walter Scotts Herrensitz den Ettrick-Wald, so hatte Newstead den durch Robin Hood und seine lustigen Gesellen berühmten Sherwood-Wald zum Hintergrunde. Trotzdem haben diese Erinnerungen keinen merklichen Einfluß auf Byrons Poesie ausgeübt, obschon er freilich die Abtei selbst im dreizehnten Gesange des Don Juan vortrefflich schildert. Die Erinnerungen des Ettrickwaldes dagegen klingen wie ein Refrain durch Scotts ganze Dichtung; ja, er sogar und nicht Byron erweckt (in Ivanhoe) das Leben und die Poesie des Sherwoodwaldes von den Toten.

1) Should you feel any touch of poetical glow,
We 've a Scheme to suggest Mr. Scott, you must know,
Having quitted the Borders, to seek new renown,
Is coming, by long Quarto stages to Town;

And beginning with Rokeby (the job's sure to pay)
Means to do all the Gentlemen's Seats on the way.

Now the Scheme is (though none of our hackneys can beat him)
To start a fresh Poet through Highgate to meet him;

Who, by means of quick proofs

May do a few Villas, before Scott approaches.

long coaches

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no revises

Moore: Intercepted letters, Nr. 7.

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